: "Das Gesetz ist viel zu altmodisch"
■ Nationale Symbole von internationalem Interesse: Der Direktor der St. Petersburger Eremitage, Professor Michail Piotrowski, über den desolaten Zustand der russischen Museen und die bevorstehende Entsche
taz: Im Westen ist die Rede von katastrophalen Zuständen in den russischen Museen: unbezahlte Stromrechnungen, abgeschaltete Alarm- und Klimaanlagen, defekte Dächer und nichtbezahlte Löhne und Gehälter. Ist das kulturelle Erbe Rußlands in Gefahr?
Michail Piotrowski: Es gibt heute keine konkrete Gefahr für die Kunstwerke und das Gebäude. Aber in so großen und alten Gebäuden wie der Eremitage muß man jedes Jahr etwas renovieren. Wenn wir zehn Jahre lang nichts tun, stehen wir in zehn Jahren vor einer Katastrophe. Deshalb benötigen wir Geld.
Die Depots sollen so umgebaut werden, daß Besucher sie auch ansehen können; der zur Zeit sehr unfreundliche Eingangsbereich soll einladender werden. Wir müssen an einem der sieben Gebäudeteile das Dach erneuern, was mal eben eine runde Million Dollar kostet, und und und... Aber in Rußland ist es schwer mit dem Geld. In der Eremitage haben wir in diesem Jahr nur die Hälfte des vorgesehenen Budgets bekommen: umgerechnet rund sechseinhalb statt zwölf Millionen Dollar. Durch Eintrittsgelder und Sponsoren haben wir zusätzlich etwa drei Millionen Dollar erwirtschaftet, aber viel mehr ist nicht drin. Dazu kommt, daß unsere Behörden die Wichtigkeit von Kunst nicht verstehen. Doch das ist in Amerika und Europa ja nicht anders: Auch dort werden die staatlichen Zuschüsse ja massiv gekürzt. In Rußland ist immer alles extrem: Bei uns war der Sozialismus extrem, jetzt ist der Kapitalismus extrem. Deshalb müssen wir den Behörden unsere Bedeutung klarmachen, damit sie verstehen, daß wir jetzt Geld benötigen. Die staatlichen Museen sind Nationalsymbole. Eine Nation kann ohne Weltökonomie bestehen, eine Nation kann ohne Armee bestehen – vor allem ohne eine solche Armee, wie wir sie jetzt haben. Aber ohne Museen, ohne Schriftsteller und Theater gibt es kein Rußland. Das ist eine ständige Auseinandersetzung mit den Behörden. Mitte vergangenen Jahres habe ich noch die Meinung vertreten, wir sollten Museen schließen, wenn es nicht mehr Geld für ihre Unterhaltung gibt. Inzwischen bin ich optimistischer.
Sie haben inzwischen andere Geldquellen gefunden und arbeiten nach kapitalistischem Vorbild mit Sponsoren zusammen...
Um unabhängig von der Regierung und den Ministerien zu sein, müssen Teile unseres Etats von Sponsoren kommen. Die Entwicklung der dafür nötigen Kontakte ist im Augenblick neben der kunsthistorischen die andere Seite meiner Arbeit. Die Eremitage arbeitet auf diesem Gebiet inzwischen mit Firmen und Einzelpersonen zusammen, und es gibt in vielen Ländern Freundeskreise, die uns unterstützen. Viele Dinge, die andere Museen machen, können wir allerdings mit Rücksicht auf unser Renommée nicht auch tun. Es gibt strenge Limits, die in der Tradition des Hauses begründet liegen.
Noch vor zehn Jahren war es schwierig, auch nur ein Schwarzweißfoto von einem Werk aus russischen Museen zu bekommen. Jetzt soll im Rahmen des „World Eremitage Project“ der gesamte Bilderbestand digitalisiert werden. Gibt es Gegenleistungen?
Das „World Eremitage Project“ betrifft nicht allein das Museum. In der Eremitage gibt es auch ein Theater, Produktionsstudios, ein Verlagshaus. Diese Partner haben sich nun zusammengeschlossen, um gemeinsam neue Konzepte zu entwickeln. Dazu gehört auch die Digitalisierung unserer Bestände. IBM ist einer unserer größten Sponsoren. Wir bekommen 1,5 Millionen Dollar, um eine Computergalerie für die Eremitage zu entwickeln, die noch moderner als die der National Gallery of Art in Washington werden wird. Die Besucher sollen damit die Möglichkeit erhalten, alle möglichen Informationen zum Museum und seiner Sammlung abzurufen. Außerdem werden wir ein ganz neues Museum aufbauen. Die Regierung hat uns das ehemalige zentrale Personalgebäude auf dem Palastplatz gegeben. Dort soll ein Museum für angewandte Kunst entstehen, das gleichzeitig als kulturelles Informationszentrum gedacht ist. Von der Eremitage soll ein unterirdischer Gang zu diesem neuen Museum führen – vorbei an den Kellerräumen eines dritten Gebäudes, das dem Militär gehört. Aber Rußland ist ein Land der Wunder: Wir haben die Erlaubnis der Militärs, aber auch die kostet Geld.
Die deutsche „Kulturstiftung der Länder“ unterstützt schon jetzt im Rahmen eines gemeinsamen Programms die Restaurierung antiker Kunstwerke in der Eremitage. Noch mehr Geld könnte als Gegenleistung für die Rückgabe der Beutekunst-Konvolute fließen, falls der Föderationsrat am 5. März nicht der von der Duma bereits beschlossenen Russifizierung der Beutekunst zustimmt. Wagen Sie eine Prognose für den Ausgang dieser Entscheidung?
Um diese Frage gibt es im Augenblick viel zuviel Aufsehen. Der Föderationsrat hat als Länderkammer schon einmal ein Gesetz abgelehnt, mit dem die Duma die Werke aus deutschen Privatsammlungen zu russischem Eigentum machen wollte, und sie wird auch diesmal die Initiative wohl an die Duma zurückgeben. Das Gesetz ist an einigen Stellen viel zu altmodisch. Ich kann den Ausgang der Abstimmung natürlich auch nicht vorhersagen, weil es um einen politischen Streit und um einen Eigentumsstreit geht. Beides ist schwer zu lösen, aber ich denke, daß ein vernünftiger Weg gefunden werden wird.
Könnte es unabhängig von dieser Frage eine Ausstellung der Werke in Deutschland geben?
Ich denke, das wäre möglich. Wir müßten vorher nur einen Rahmen festlegen. Bis die Eigentumsfrage geklärt ist, können die betroffenen Werke sicher nur nach Deutschland kommen, wenn es vorher eine Garantie gibt, daß sie nicht hierbehalten werden. Und ein zweiter Aspekt wäre wichtig: Eine solche Ausstellung müßte dem gegenseitigen Verständnis dienen und dürfte nicht Anlaß für neue Provokationen und neue Kämpfe und Skandale sein. Ich bin sicher, daß wir mit unseren deutschen Kollegen eine entsprechend positive Lösung finden können.
Anders als Ihre Moskauer Kollegin Irina Antonowa sind Sie von Beginn an sehr offen mit den noch bis vor kurzem streng geheimen Sonderdepots umgegangen und haben die entsprechenden Werke in bislang drei Ausstellungen öffentlich gemacht. Ist jetzt alles gezeigt worden, was es in der Eremitage an Beutekunst gibt?
Nein, es ist noch nicht alles bekannt. Die Meisterwerke haben wir alle gezeigt. Es gibt aber immer noch Sonderdepots, die von staatlicher Seite als geheim angesehen werden. Deshalb begehen wir Museumsleute aus offzieller russischer Sicht mit jeder Ausstellung eine Art Verbrechen. Aber wir kämpfen um Offenheit, und ich hoffe, daß es im März eine staatliche Anweisung geben wird, nach der auch die restlichen Depots geöffnet werden dürfen. Bis dahin zeigen wir die Bestände den Spezialisten und Wissenschaftlern, erarbeiten Inventare und bereiten auf diese Weise schon einmal eine später denkbare Ausstellung vor. Das sind wir ja auch unserem Ruf schuldig. Wir können doch nicht Kollegen einladen und sagen: Wir wissen selbst nicht, was das hier ist, aber kommt doch trotzdem mal her und seht es euch an.
Am 14. Februar 1998 werden wir in der Eremitage eine Ausstellung mit Schliemanns Trojafunden zeigen, im Jahr darauf dann die Bestände des ostasiatischen Museums. Diese Ausstellung bereiten wir natürlich gemeinsam mit unseren deutschen Kollegen vor. Interview: Stefan Koldehoff
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