: Ausländerpolitik von PDS vernachlässigt
■ BezirkspolitikerInnen zahlen Flüchtlingen weniger Sozialhilfe als möglich
Lichtenbergs Sozialstadträtin Ellen Homfeld hat nicht Zeitung gelesen. Vom Urteil des Oberverwaltungsgerichtes, das sie verpflichtet, an bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge mit Duldung wieder volle Sozialhilfe zu zahlen, erfährt sie erst durch den Anruf der taz. Eine halbe Stunde später ruft Homfeld in der Redaktion zurück. Ja, das Urteil wird in Lichtenberg umgesetzt. Ab 1. April. Bis dahin bekommen BosnierInnen in diesem Bezirk aber nur 80 Prozent Sozialhilfe.
Ellen Homfeld ist Sozialstadträtin mit PDS-Ticket. Die PDS hat ihre KommunalpolitikerInnen und Bezirksverordneten im Dezember via Parteitagsbeschluß verpflichtet, die „Ermessensspielräume bei der Entscheidung über Sozialhilfeleistungen“ zugunsten von Flüchtlingen auszuloten. Man kann nur Spielräume nutzen, die man kennt. Und darin liegt nach Meinung von Marian Krüger vom PDS-Landesvorstand das Problem. MigrantInnen- und Flüchtlingspolitik, so schrieb er im Februar in der PDS- Mitgliederzeitschrift Disput, werde innerhalb seiner Partei „oftmals als Randgruppenpolitik abgemeldet“. Für MigrantInnen und Flüchtlinge sind in der PDS nur wenige, engagierte Außenseiter zuständig. Die werden von den Flüchtlingsorganisationen geschätzt. Fehlen sie, fehlt der PDS ausländerrechtliches Wissen.
Zu den SpezialistInnen gehört die Abgeordnete Karin Hopfmann. Seit Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU) im November per Rundschreiben die Bezirke angewiesen hat, an BosnierInnen nur noch 80 Prozent Sozialhilfe zu zahlen, läuft Hopfmann dagegen Sturm. Für sie war diese Weisung schon damals ungesetzlich. Das Oberverwaltungsgericht hat ihr jetzt recht gegeben. Schon früher erläuterte Hopfmann den PDS-Sozialstadträtinnen die Spielräume: Verwaltungsgerichte hätten verschiedene Urteile gesprochen. Solange die Rechtslage unklar sei, so Hopfmann, liege das Verfahren im Ermessen der Bezirke.
Fünf SozialstadträtInnen hat die PDS in Berlin. Nur in einem Bezirk – in Hellersdorf – wurden Spielräume seit Dezember zugunsten der Flüchtlinge genutzt. Die Initiative ging auf Hellersdorfs PDS-Chef Klaus-Jürgen Dahler zurück. Sein Antrag fand in der Hellersdorfer Bezirksverordnetenversammlung eine Mehrheit. Kletts Kolleginnen Gisela Grunwald (Pankow), Ellen Homfeld (Lichtenberg), Cornelia Reinauer (Marzahn) und Monika Wandrow (Treptow) sahen diese Spielräume nicht, weil, so die Marzahnerin, „es in den Augen der Juristen in unserem Amt nicht genügend Argumente dafür gab“. Denen hätten nur die negativen Urteile vorgelegen. In diesen Bezirken wurden auch die Bezirksverordneten nicht aktiv. Die Flüchtlingspolitikerin Karin Hopfmann ist darüber enttäuscht. Keine der Stadträtinnen habe sie um Argumentationshilfe gebeten.
Georg Classen, der in der Passionskirchengemeinde Flüchtlinge berät, hat mit PDS-Stadträtinnen höchst verschiedene Erfahrungen gemacht. „Frau Grunwald in Pankow hat die Argumente von Wohlfahrtsverbänden und Beratungsstellen zu ausländerpolitischen Themen immer sorgfältig geprüft. Mit Frau Homfeld in Lichtenberg war hingegen ausgerechnet eine PDS-Frau die erste Sozialstadträtin in Berlin, die Flüchtlingen Sachleistungen statt Geld gewährte.“ Doch für Classen liegt das Problem tiefer. Einige PDS-KommunalpolitikerInnen seien in ihren eigenen Ämtern politisch isoliert. Sie müßten befürchten, bei Fehlern von leitenden Mitarbeitern denunziert zu werden. Das führe, so Classen, zu übergroßer Vorsicht und ermutige nicht gerade, mit Senatsvorlagen kritisch umzugehen. Kommen dann noch bei einzelnen „mangelndes Interesse und mangelnde Sachkenntnis“ im Ausländerrecht hinzu, entscheiden die Juristen im Amt und nicht die Stadträtinnen. Marina Mai
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