: Hoffnungsträger vor roten Roben
Verfassungsgericht verhandelt heute in Leipzig zu Sonderkündigungen im Osten ■ Von Christian Rath
Freiburg (taz) – Heinrich Fink ist ein ostdeutsches Symbol. Zu DDR-Zeiten war der Theologe Professor an der Ostberliner Humboldt-Universität (HUB). Nach der Wende avancierte er sogar zu deren Rektor, um die Erneuerung der Universität von innen zu versuchen. Dann, Ende 1991, folgte die Entlassung durch den Berliner Senat – begründet mit seiner angeblichen Stasi-Mitarbeit, die Fink jedoch vehement bestritt. Vor Gericht focht er gegen die Kündigung erfolglos. Heute wird über seine hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde in Leipzig verhandelt.
„Ich glaube fest an den Rechtsstaat“, sagt Fink ohne Bitterkeit. „Wenn wir ehemaligen DDR-Bürger durch die Vereinigung etwas gewonnen haben, dann ist es der Rechtsstaat.“ Finks ehemaliger Anwalt Lutz Seybold hielt den Professor für naiv.
„Der hat mir prophezeit“, erinnert sich Fink, „daß meine Verfassungsbeschwerde postwendend vom Pförtner in Karlsruhe zurückgeschickt würde.“ Irrtum: Das Verfassungsgericht reist sogar extra nach Leipzig an, um Finks Klage (gemeinsam mit anderen Kündigungsfällen) öffentlich zu verhandeln.
In Finks Fall liegt die Frage nahe, welchen Beweiswert die Akten der ehemaligen DDR-Staatssicherheit vor Gericht haben sollen. Unter dem Decknamen „Heiner“ hatte die Stasi ein ausführliches Dossier mit Informationen über die politischen und wissenschaftlichen Kontakte des Theologen angelegt. Heute wird es von der Berliner Gauck-Behörde verwaltet. Fink jedoch bestreitet, jemals „Inoffizieller Mitarbeiter“ (IM) der Stasi gewesen zu sein.
Als Leiter der Sektion Theologie an der HUB habe er zwar zwangsläufig Kontakte mit der Stasi gehabt. Dabei sei er aber lediglich „abgeschöpft“ worden. Zahlreiche seiner Gesprächspartner hatten jeweils direkt der Stasi berichtet, selbst seine inzwischen verstorbene Privatsekretärin war von der Stasi eingeschleust worden. Tatsächlich wurde niemals eine „Verpflichtungserklärung“ von Fink gefunden.
In zwei konkreten Situationen wollte das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin die „Abschöpfungstheorie“ nicht gelten lassen. Im Juni 1987 habe Fink aus Anlaß des Kirchentages Berlin-Brandenburg bei der Stasi angerufen und eine Nachricht durchgegeben. Außerdem sei ihm 1984 von der Stasi eine Verdienstmedaille verliehen worden. Fink kann beides nicht widerlegen: „Wie soll ich beweisen, daß ich damals nicht angerufen habe? Und wie, daß ich diesen Orden nicht bekommen habe?“
Die damals zuständigen Stasi- Mitarbeiter stützten vor Gericht zwar Finks Abschöpfungsversion, fanden jedoch bei den LAG-Richtern keinen Glauben. Die anderslautenden Akten wurden stärker gewichtet. In der Vorinstanz, vor dem Arbeitsgericht, war die Kündigung noch für rechtswidrig erklärt worden, weil Stasi-Akten allein nicht als Beweis ausreichten.
Die Entlassung Finks durch den Berliner CDU-Wissenschaftssenator Manfred Erhardt hatte freilich neben den Stasi-Vorwürfen noch eine andere Facette. Fink, der die Selbstverwaltung der Humboldt- Universität nachdrücklich verteidigte und gegen ihre Abwicklung Front machte, war für den Senat denkbar unbequem. Zwei Wochen nach der Entlassung sollte an der HUB ein neuer Rektor gewählt werden. Fink hätte erneut zur Wahl gestanden.
Mit der Position als Rektor verlor Fink auch seine Professur. Seit fast vier Jahren ist Fink nun Vorsitzender der Komitees für Gerechtigkeit. Bei mehreren Wahlen hat der immer noch Parteilose inzwischen für die PDS kandidiert. Hauptberuflich arbeitet Fink heute für den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags, wo er sich um antifaschistische Gedenkstätten kümmert.
Ob er wieder an die HUB zurückkehren würde, falls seine Verfassungsbeschwerde Erfolg hat? „Mal sehen.“ Fink gibt sich ausweichend und verweist auf sein Alter – er ist inzwischen 62 Jahre alt.
Populär ist Fink an der Humboldt-Uni immer noch. Im Winter 1991 gab es sogar Demonstrationen für ihn und gegen die von Senator Erhardt ausgesprochene Kündigung. Auch der Akademische Senat und das Konzil der HUB gaben nach den Stasi-„Enthüllungen“ Ehrenerklärungen für den Theologen ab. Schon deshalb könne Fink nicht als „unzumutbar“ entlassen werden, argumentiert dessen neuer Anwalt Klaus Damann aus Hamburg.
Damann muß in der Verhandlung einen schwierigen Spagat vollziehen. Einem vorab verteilten Fragenkatalog zufolge will das Verfassungsgericht in Finks Fall die „Unzumutbarkeit“ der Weiterbeschäftigung in den Mittelpunkt der verfassungsrechtlichen Überlegungen stellen. Läßt sich der Anwalt aber auf diese Frage allzusehr ein, könnte in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, Fink bestreite die Stasi-Vorwürfe gar nicht mehr.
Mit dem Urteil ist erst in einigen Monaten zu rechnen. Wenn Heinrich Fink verliert, will er die Europäische Kommission für Menschenrechte in Straßburg anrufen. „Ich darf nicht resignieren“, sagt Fink, „die ehemaligen DDR-Bürger schauen auf mich.“
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