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Mayi-Mayi in den Mondbergen

Im Siedlungsgebiet der Nande an der Grenze von Zaire zu Uganda kämpft die Rebellenallianz gegen Mißtrauen und Milizionäre  ■ Aus Butembo Dominic Johnson

Im Nordosten Zaires hat die Regenzeit begonnen. Hauptstraßen, die noch vor zwei Wochen lediglich aus einer Abfolge hoher Buckel und tiefer Löcher bestanden, gleichen inzwischen Seenplatten. Mit jedem Regenguß rückt die hinreißend schöne Landschaft um Beni und Butembo weiter in die Isolation. Aus den dichten Bergwäldern, hier und da gesprenkelt mit Terrassenfeldern auf den steilen Abhängen tiefer Schluchten, steigt der würzige Geruch von Holzkohle und Eukalyptus auf. Kein elektrisches Licht stört den Nachthimmel. Unzählige winzige Dörfer aus traditionellen Lehmbauten schmiegen sich an die Berge, an kleinen flackernden Feuern hocken die Familien beim Abendessen. Im Westen beginnt der riesige Ituri-Regenwald, bis heute eines der unzugänglichsten Gebiete der Erde. Am Horizont im Osten ragen die Mondberge auf, hinter denen Uganda liegt.

Dies ist die Heimat des Nande- Volkes, eine von vielen Ethnien des „befreiten Kongo“. Es ist eine der fruchtbarsten Gebiete der Region. Hier sieht man keine Kinder mit vor Proteinmangel aufgequollenen Bäuchen, hier sind die Märkte gut versorgt, hier können sich auch Dorfleute das teure Bier aus Ruanda leisten, das nach der krisenbedingten Schließung der zairischen Brauereien im Osten „Ex-Zaires“ fast eine Monopolstellung genießt. Und hier haben die Rebellen der AFDL („Allianz Demokratischer Kräfte für die Befreiung von Kongo/Ex-Zaire“) mit einem ihrer widerspenstigsten Gegner zu tun: Die sogenannte Mayi-Mayi-Miliz, eine Mischung aus Traditionsverein, Geheimbund und Landwehr.

Die Mayi-Mayi nennen komplizierte Rituale ihr eigen, bei denen spezielle „Doktoren“ den Milizangehörigen angeblich mit verzaubertem Wasser magische Kräfte verleihen und sie unverwundbar machen. „Sie haben einen Löwenmut“, berichtet ein zairischer Priester in der Stadt Butembo und erzählt ergriffen, wie er kurz vor Weihnachten eine Straßenschlacht zwischen AFDL-Soldaten und Mayi-Mayi miterlebte: Die Soldaten hätten ihre Magazine alle leergeschossen, und trotzdem sei kein einziger Milizionär verwundet worden. Ganz gläubig ist er aber nicht: Bei einem anderen Kampf hätte das irgendwie nicht funktioniert. „Die Kraft der Mayi-Mayi währt nur 25 Minuten“, meint er. Das hätten die AFDL-Soldaten inzwischen gemerkt und sich darauf eingestellt.

Erst vier Monate ist es her, da stritten die Banyamulenge-Soldaten der AFDL und die Nande-Milizionäre der Mayi-Mayi auf derselben Seite. Die Mayi-Mayi hatten sich zuvor dem Zustrom von Hutu-Einwanderern in ihre Region widersetzt und sich daher mit den Tutsi der AFDL verbündet. Es gab auch persönliche Verbindungen: Der Chef der lokalen Mayi- Mayi, „Doktor Kanganga“, war Sohn eines Anhängers des 1961 ermordeten kongolesischen Befreiungshelden Patrice Lumumba, in dessen Tradition sich AFDL-Führer Laurent-Désiré Kabila sieht. Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte er in Uganda. Dort stand er in Verbindung mit dem ersten Militärführer der AFDL, André Ngandu Kisase.

Auf dem Vormarsch von Goma Richtung Norden marschierte die AFDL im Laufe des Novembers in der Nande-Region ein. Auch Butembo, mit über 200.000 Einwohnern das städtische Zentrum der Nande, geriet so kampflos unter AFDL-Kontrolle. Mit den Rebellen kamen auch die Mayi-Mayi und errichteten Volksgerichte, bei denen „Hexen“ und „Diebe“ abgeurteilt und hingerichtet wurden. „Sie taten das sehr schnell“, erinnert sich ein Bewohner von Butembo. „Sie fragten die Leute: Das ist ein Dieb – soll man ihn töten oder nicht? Und die Leute sagten: Ja, tötet ihn.“

In diesen Wirren der ersten Tage nach der „Befreiung“ wurden schnell Probleme sichtbar. Wie in vielen Gegenden, in denen die AFDL einrückte, bekamen die lokalen Größen – die sich oft unter dem Mobutu-Regime kompromittiert hatten – Angst vor einer möglichen Dominanz der Tutsi. Die Mayi-Mayi erschienen da als probates Mittel, eine häusliche Gegenmacht aufzubauen. Politiker des alten Regimes nahmen zu den Mayi-Mayi Kontakt auf. Im Gegenzug unternahm die neue AFDL-Macht Hausdurchsuchungen und beschlagnahmte alle Kommunikationsmittel.

Anfang Dezember erschien Mayi-Mayi-Chef Kanganga in Butembo. „Er saß auf dem Dach eines Pajero-Geländewagens“, erinnert sich ein Kirchenmitarbeiter, „eingewickelt in einen großen Turban. Als er kam, gab es gerade eine Versammlung der Allianz im Gebäude des Unternehmerverbandes. Kanganga stieg von seinem Dach herunter und wollte hineingehen, zusammen mit seinen vier Leibwächtern, die mit Lanzen bewaffnet waren. An der Tür sagte man ihm: In diesem Aufzug können Sie hier nicht rein. Er regte sich auf.“

Ab da herrschte Krieg. Die AFDL verlangte die Auflösung der Mayi-Mayi und bot ihnen die Eingeliederung in die Rebellenarmee an. Die Mayi-Mayi sahen darin einen Versuch, sie zu zerschlagen. In den Tagen vor Weihnachten häuften sich Schießereien. Die berühmte Straßenschlacht, bei der angeblich die Mayi-Mayi auch im Kugelhagel unversehrt blieben, folgte kurz auf eine Versammlung, bei der AFDL-Militärchef Kisase bestätigt hatte, die Banyamulenge- Tutsi der Allianz seien zairische Staatsbürger und nicht Ausländer aus Ruanda – und damit Krawalle auslöste.

Der Krieg war kurz und blutig. „Man hat sie gejagt wie die Hasen“, erinnert sich der Kirchenmitarbeiter an die Verfolgung der Mayi-Mayi durch die AFDL. Im Krankenhaus von Butembo wird berichtet, wie AFDL-Soldaten eindrangen und verwundete Mayi- Mayi mitnahmen: „Man hat sie nie wieder gesehen.“ Verschiedene Quellen erwähnen ein Massaker im Dorf Kavinyonge in der Nähe von Butembo Anfang Januar. Ein Gesprächspartner berichtet: „Die Banyamulenge-Soldaten der Allianz forderten die Leute auf, ihre Häuser zu verlassen und sich in den Kirchen zu versammeln. Die Leute hatten Angst und blieben in den Häusern. Aber die Banyamulenge wollten ja gerade die Häuser nach Mayi-Mayi durchsuchen.“ 120 Menschen sind nach Angaben des lokalen Roten Kreuzes bei dieser Aktion ums Leben gekommen.

Inzwischen hat sich die Lage etwas beruhigt. Zumindest die Hauptstraße, die aus Goma kommend über Butembo und Beni Richtung Bunia führt, ist sicher – auch nachts gibt es hier Verkehr. Die Mayi-Mayi sollen sich in den Wäldern versteckt halten und die Dorfbevölkerungen abseits der großen Straßen terrorisieren.

Die AFDL bemüht sich nach Kräften, Angehörige der Mayi- Mayi zum Übertritt zu bewegen. Wer freiwillig kommt, wird als Soldat aufgenommen und ausgebildet. Es scheint eine erfolgreiche Strategie zu sein. Der örtliche Mayi-Mayi-Chef von Butembo soll sich am 1. März offiziell ergeben haben.

„Die Mayi-Mayi haben kein politisches Projekt“, meint ein Bewohner von Butembo. „Sie haben überhaupt keine Bildung – jeder macht, was er will.“ Viele ihrer Kämpfer waren Kindersoldaten, die ihre Politikerfahrung mit Straßenprotesten gegen die Mobutu- Armee begannen, zu Milizionären aufstiegen und jetzt, im Alter von sechzehn oder mehr, endlich reguläre Soldaten werden wollen. Aber der Krieg hinterläßt Spuren. Mayi- Mayi-Führer „Doktor Kanganga“ soll inzwischen tot sein. Und der in dieser Region besonders aktive AFDL-Militärchef Ngandu Kisase, zu Beginn der Rebellion der mächtigste Mann der Allianz hinter Laurent-Désiré Kabila, ist verschwunden. Gerüchte, er sei im Dezember bei einem Angriff der Mayi-Mayi ums Leben gekommen, lassen sich nicht bestätigen – aber ein Lebenszeichen gibt es von ihm auch nicht.

Klar ist zumindest, daß der AFDL erhebliche Arbeit bevorsteht, um die Nande – die bisher noch jede Zentralmacht abgelehnt haben – mit der neuen „Demokratischen Republik Kongo“ zu versöhnen. Es herrscht Frieden – aber es bleibt ein Frieden auf Distanz. „Die Leute sind wachsam“, meint ein Kirchenmann. „Sie können jeden Augenblick wieder die Seite wechseln.“

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