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Die Schau ist besser als das Geschäft

■ Über 6.000 Firmen aus 59 Ländern zeigen seit heute auf der CeBIT '97 ihre neuesten Produkte. Aber das Geldverdienen fällt der Computer- und Telekommunikationsbranche immer schwerer

Mit einem neuen Rekord darf auch in diesem Jahr gerechnet werden. Seit heute morgen um neun Uhr ist die CeBIT '97 für das Publikum geöffnet, die Messeleitung erwartet, daß etwa 600.000 Besucher den Weg zu dieser immer noch größten Computerschau Europas finden werden.

Einer von ihnen ist Beni Prasad Verma. Er zumindest weiß genau, warum er nach Hannover gereist ist. Nicht die Neugier auf den allerneuesten Multimedia-Computer hat ihn dazu bewogen. Beni Prasad Verma ist Minister für Kommunikation der Republik Indien. Die Messeleitung hat ihn zur offiziellen Eröffnungsveranstaltung geladen. Er hielt gestern abend eine Begrüßungsrede vor geladenen Gästen, allein für den Austausch diplomatischer Höflichkeiten hätte sich der weite Weg allerdings auch nicht gelohnt. Der Minister ist geschäftlich in Hannover unterwegs. Er trifft hier Hannover überaus wichtige Kunden seines Landes: Softwarefirmen aus aller Welt, die in Indien genau das finden, was Deutschlands Wirtschaftsminister Rexrodt gestern abend auf der selben Veranstaltung mal wieder als Wundermittel gegen die heimische Arbeitslosigkeit anpries: hohe Qualifikation und niedrige Löhne.

Indien hat beides: hervorragend ausgebildete Programmierer, die sich mit einem Bruchteil europäischer oder auch amerikanischer Gehälter zufrieden geben. Sie schreiben im Auftrag westlicher Softwarefirmen denn auch fleißig an den Programmen herum, deren Präsentation auf der Messe in Hannover auch in diesem Jahr wieder mehrere Hallen füllt.

Mit Beni Prasad Vermas Rede war Indiens öffentlich sichtbarer Auftritt auf der CeBIT aber schon wieder beendet. Die indischen Programmierer arbeiten im verborgenen. Nun widerwillig gibt die Branche zu, daß die Arbeitsplätze, die sie verspricht, nicht immer in den Heimatländern entstehen werden. An den Messeständen werden werbeträchtiger Argumente gebraucht. Hier haben die PR-Abteilungen und Vertriebsmanager der insgesamt 6.855 Anbieter das Wort. Den Löwenanteil von 60 Prozent stellen die Deutschen mit 4.205 Firmen, unter den ausländischen Ausstellern liegen zwar immer noch die USA mit 445 Firmen an der Spitze, doch diese Vormachtstellung ist nicht mehr unumstritten. An zweiter Stelle liegt heute Taiwan mit 401 Firmen, danach folgt Großbritannien mit 301 Ausstellern, die anderen Länder der EU spielen in Hannover nur eine nebensächliche Rolle.

Tatsächlich wächst der Markt für Computer, Software und Kommunikationstechnik weiterhin, doch die Grenzen sind deutlicher spürbar. Das Geldverdienen fällt zusehends schwerer. Die Pleite des Computerhändlers Schneider („Escom“) hat im letzten Jahr die ganze Branche das Fürchten gelehrt. Schneider war auf seinen Billigrechnern sitzengeblieben, das Massengeschäft ist ausgereizt, das immer weiter sinkende Realeinkommen der abhängig Beschäftigten dämpft die Kauflust.

Offenbar kann auch der ungebrochene Boom des Internet an dieser Zurückhaltung nichts Entscheidendes ändern. Zwar konnte die Telekom ihre Monopolstellung weiter nutzen, um Kunden für ihr T-Online-Netz zu gewinnen, die Zuwächse sind jedoch eher bescheiden, der nach der Telekom in Deutschland führende Online- Dienst CompuServe kämpft verzweifelt gegen rote Zahlen.

Eher gedämpfte Aussichten für das harte Geschäft also. Seit letztem Jahr setzt die Messeleitung vor allem auf professionelle Einkäufer für sogenannte Business-Anwendungen, die Laufkundschaft soll auf der alle zwei Jahre im Wechsel mit der Internationalen Funkausstellung von Berlin stattfindenden „CeBIT Home“ abgespeist werden. Sie läßt sich trotz hoher Eintrittspreise nicht vertreiben. Der Computer ist ein Kultobjekt und lockt auch Leute an, die gar nicht beabsichtigen, Kaufverträge abzuschließen. Auch sie kommen in diesem Jahr auf wieder ihre Rechnung. Neue PCs für den Privatgebrauch füllen eine ganze Halle, zwei weitere stehen unter dem magischen Stichwort „Multimedia“.

Es ist die Computerbranche selbst, die den Unterschied zwischen professionellen Einkäufern und bloß Schaulustigen auf der Messe unterläuft. Sie schlägt die Brücke von der klassischen Informations- und Kommunikationstechnik zur Unterhaltungsindustrie. Auch der Siemens-Konzern, der sein Geschäft sonst eher mit Kunden aus der Großindustrie macht, ließ sich von diesem Fieber anstecken. Zu den Attraktionen seines Messestandes gehört der sogenannte Picture Pool: Eine Datenbank mit Online-Archiv zum Austausch von Angeboten und Nachfragen von Film- und TV- Produzenten. Schade nur: Das System nutzt zwar die Internettechnik, aber auschließlich registrierte Benutzer haben Zugang zum Video-Archiv der Siemens AG. Niklaus Hablützel

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