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Schwitzen mit den lieben Kollegen

taz-Serie: Sportstadt Berlin (Teil 4). Sport in der Firma ist besonders unter älteren Angestellten beliebt. Vereine wie der Gasag e.V. kümmern sich um die aktive Freizeitgestaltung  ■ Von Christine Berger

Nachmittags um vier hat Sonja Ogrsal schon einen langen Tag hinter sich. Seit sieben Uhr steht die junge Chemielaborantin ihrer Firma, der Schering AG, zu Diensten. Daß sie sogar ihren Feierabend auf dem Werksgelände verbringt, liegt weniger an der Liebe zu ihrem Job als am Sportangebot im vierten Stock. Dort tobt sich Ogrsal zusammen mit einem halben Dutzend KollegInnen in der firmeneigenen Turnhalle beim Volleyball aus. Später wird sie auch noch am Leichtathletiktraining teilnehmen, um das Sportabzeichen für dieses Jahr mit nach Hause zu nehmen.

Mit ihren 26 Jahren ist die Sportlerin die jüngste in der Volleyballgruppe. Auch unter den Ruderern, wo Sonja Ogrsal ebenfalls mitmischt, sind die meisten über 35 Jahre alt. „Seit der Wende haben wir Interessierte verloren“, klagt Peter Erkau, der den Sport bei Schering hauptamtlich organisiert. Derzeit schwitzen 1.300 Schering- Beschäftigte auf dem firmeneigenen Gelände. Bei insgesamt knapp 5.000 Angestellten des Pharmakonzerns ist das auf den ersten Blick gar kein schlechtes Ergebnis.

Allerdings turnen auch immer mehr Vorruheständler, die offiziell gar nicht mehr zur Firma gehören, beim Sportprogramm mit. Für die Ehemaligen, die oft noch keine 60 Jahre auf dem Buckel haben, ist der Sport die einzige Verbindung zu ihrem Brötchengeber und somit zu den sozialen Kontakten ihres alten Arbeitsplatzes.

Dieter Fitzeck zum Beispiel ist seit 25 Jahren beim Betriebssport und möchte auch als Rentner nicht aufhören. „Früher war das günstig, da ging man einfach über den Hof“, meint der Schering-Veteran, der beim Werkschutz arbeitete. Heute ist ihm vor allem das Bewegen seiner immr noch rüstigen Knochen wichtig und natürlich der Kontakt zum Firmenkollegium. Zusammen mit seiner Frau, die im Labor arbeitet, läuft Fitzek mit Exkollegen Marathon und spielt Volleyball.

Daß eine Firma zwei Sporthallen auf dem Werksgelände hat, ist nicht selbstverständlich. Bei der Breitensportförderung im Betrieb steht Schering berlinweit einzigartig da. Rund eine Million Mark investiert der Pharmakonzern jährlich in 16 verschiedene Sportarten und ermöglicht so seinen Mitarbeitern aktive Freizeit zum Billigtarif. So zahlen die 466 Mitglieder der Tennisabteilung gerade mal 120 Mark im Jahr. Ein Witz gegenüber den Tarifen eingetragener Vereine, die leicht das Zehnfache betragen.

Im Gegensatz zum Medikamentenhersteller im Wedding müssen die Kollegen bei Siemens ihr Sportangebot ehrenamtlich organisieren. So schwitzen Techniker und Bandarbeiter nicht in der Unterabteilung der Firma, sondern in einem eingetragenen Verein namens Sportgemeinschaft Siemens e.V. Allein die Sportanlagen, das Siemens-Stadion in der Göbelstraße, stellt der Konzern zur Verfügung. Rasenplätze, Tischtennishallen und Fitneßraum sind jedoch, wie es sich für einen gemeinnützigen Verein gehört, nicht nur für Siemens-Mitarbeiter zugänglich, sondern auch für jeden anderen Sportinteressierten. Einziger Unterschied zum Normalo-Club: bei Siemens arbeiten die Trainer dank Zuschüssen der Firma hauptamtlich, der Mitgliedsbeitrag ist billiger.

Der Anteil ausländischer Siemens-Beschäftigter, die Sport treiben, ist hoch. Das zeigt sich auch bei den angebotenen Sparten. Eine sogenannte Koreaner-Gruppe bietet koreanischen Angestellten die Möglichkeit zum gemeinsamen Sport und der Pflege ihrer heimatlichen Tradition.

Multikulti herrscht dagegen in klassischen Sportarten wie Fußball und Tischtennis. Ähnlich wie bei Schering ist auch bei Siemens der Betriebssport vor allem Sache der älteren Generation. 50 Prozent der 1.700 Mitglieder sind zwischen 60 und 85 Jahren alt. „Ein Grund, weshalb wir derzeit sehr intensiv Werbung im Betrieb machen“, so Vorruheständler Uwe Demitrowitz, der als erster Vorsitzender den Betriebssport bei Siemens managt.

Mit Unterstützung der Siemens- Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungen schaffte es der Verein, innerhalb eines Jahres 300 neue Mitglieder in den verschiedenen Betriebsbereichen zu werben. Zu verdanken ist dies vor allem dem ehrenamtlichen Engagement von Demitrowitz. Seit er in Ruhestand ging, hat er genug Zeit, sich ausschließlich um den Verein zu kümmern – für ihn gleichzeitig eine gute Gelegenheit, weiter am Firmengeschehen teilzuhaben.

Daß Siemens dem Verein bei der Mitgliederwerbung behilflich ist, hat nicht ganz uneigennützige Gründe. Schließlich profitiert auch das Unternehmen von gesunden Mitarbeitern, die seltener wegen Krankheit fehlen. Und Kollegen, die miteinander Fußball spielen und sich hernach beim Bier verbrüdern, sorgen auch während der Arbeit für bessere Stimmung und damit für mehr Leistung. Schering- Sportchef Peter Erkau beschreibt es so: „Da war eine Kollegin, mit der hatte ich jede Woche telefonisch zu tun, hatte sie aber noch nie gesehen. Eines Tages traf ich sie auf einer Sportveranstaltung. Danach brauchte ich bei jeder Bestellung nur noch drei Sätze statt sieben, und alles lief besser.“

Sport unter Kollegen verbessert nicht nur die Kommunikation, sondern weicht auch Hierarchien im Betrieb auf. Daß Abteilungsleiter zusammen mit ihren Untergebenen einem Ball hinterrennen, kommt häufiger vor, als man denkt. In einigen Betrieben fahren Chefs und Angestellte sogar gemeinsam in die Ferien, zum Beispiel beim Sportverein der Gaswerke Gasag. Dort organisiert der erste Vorsitzende Klaus Rosenkranz jedes Jahr Welt- und Städtereisen für die Betriebssportler und ihre Angehörigen. „Vom Pförtner bis zum Hauptabteilungsleiter sind alle dabei“, so der Sachbearbeiter für Planungswesen, der den Gasag- Sport schon seit 20 Jahren federführend betreut. Rosenkranz plant gerade die Südafrika-Reise im kommenden Jahr. Rund 90 Mitarbeiter werden dann zusammen auf Reisen gehen, und das zum günstigen Preis. Vorher bereiten sich die Gasag-Globetrotter mit von ihrem Vorsitzenden ausgearbeiteten Videoabenden und Vorträgen auf die Wochen am Kap vor.

Für sein Engagement im Gasag- Verein bekommt der 55jährige Rosenkranz keinen Pfennig. Dennoch möchte er die Arbeit nicht missen. „Der Sport in der Firma hat mich geprägt. Daß ich zum Beispiel eine Rede vor 1.500 Leuten halten kann, habe ich hier gelernt“, sagt er nicht ohne Stolz. Mit Sorge sieht er den geplanten Umstrukturierungen bei der Gasag entgegen. „Die Sportgemeinschaft könnte auseinanderbrechen“, befürchtet Rosenkranz. Bislang hat die Firma den betriebsnahen Verein noch immer unterstützt, weshalb die Beiträge für die Fußballabteilung derzeit bei schlappen sieben Mark im Monat liegen.

Seine Wurzeln hat der Betriebssport im Nationalsozialismus. Damals wollten die Nazis die größmögliche Kontrolle über die Arbeiter erreichen und verlegten deshalb das Sportangebot in die Betriebe. Statt konspirativer Treffen in Vereinsheimen wurde unter den Argusaugen der Betriebsleiter gekickt und geturnt. Nach dem Zweiten Weltkrieg belebten nur noch wenige Betriebe den Sport in der alten Form. Statt dessen wurden betriebsnahe Vereine gegründet, die jedoch vom Statut her unabhängig waren.

Rund 600 Betriebssportgruppen mit 50.000 Mitgliedern gibt es heute in Berlin und Brandenburg. Neugegründete Firmen bieten nur noch selten Betriebssport an, was nicht zuletzt daran liegt, daß das Sportangebot außerhalb der Betriebe immens ist. Daß Sport in der Firma durchaus Spaß machen kann, stellen jedoch auch junge Betriebe fest. So trifft sich auch die Belegschaft der taz zu Fußball und Basketball. Trainiert wird an festen Tagen in der Woche, was angesichts der vom Terminkalender gezeichneten Arbeitszeiten die Sportlerstärke stark schwanken läßt. Wie bei allen Betriebssportgruppen steht auch bei der taz weniger die Leistung als der Spaß am Spiel im Vordergrund.

Wer nämlich an Wettkampfsport interessiert ist, hat bei den meisten Firmen schlechte Karten. Sportler mit Bundesligastärke dürfen zum Beispiel gar nicht beim Betriebssport teilnehmen, und außer den stadtweiten Betriebssportmeisterschaften gibt es kaum Gelegenheiten zum Kräftemessen. Das erklärt auch, weshalb gerade jüngere Angestellte einen Bogen um den Sport in der Firma machen. „Die meisten kommen, wenn sie ihren sportlichen Zenit überschritten haben“, sagt Klaus Rosenkranz von der Gasag. Er selber kann ein Lied davon singen. Als aktiver Fußballer kam er mit 32 Jahren zum Betriebssport, weil er sich nicht mehr fit genug für die Liga fühlte. Nach einer Verletzung frönt er jetzt mit Kollegen vor allem dem Skat und Bowling.

Bowling ist übrigens eine sehr beliebte Betriebssportart und führt sogar noch öfters zu Neugründungen. So meldete neulich ein Taxibetrieb in Hohenschönhausen eine Betriebssportgruppe Bowling beim Verband an. Die Gruppe hat sieben Mitglieder, exakt die Zahl die man zum Spielen braucht.

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