: "Nicht nur warten und warten"
■ Norbert Wieczorek, Währungsexperte der SPD, fordert eine ehrliche Bewertung der Haushaltszahlen. Wenn die Währungsunion später platzt, "wäre das der Super-GAU"
taz: Die Bundesregierung überschreitet die im Maastricht-Vertrag festgelegten Höchstgrenzen für eine Staatsverschuldung. Ist der Euro noch zu retten?
Norbert Wieczorek: Im Grundsatz ja. Weil ja durchaus noch die Möglichkeit besteht, daß sich die Konjunkturlage befestigt – etwa durch die Dollarentwicklung –, aber sicher ist es keineswegs. Die Frage ist ja eigentlich nicht, ob der Euro noch zu retten ist, sondern ob er zu dem Zeitpunkt beginnen kann, der bis jetzt ins Auge gefaßt wurde. Das hängt davon ab, ob insbesondere Frankreich und Deutschland in eine bessere Wachstumssituation kommen und damit in eine bessere Haushaltslage.
Im Frühjahr 1998 entscheiden die europäischen Regierungschefs darüber, wer mitmachen darf und wer nicht. Deutschland hat also gerade ein knappes Jahr Zeit. Zuwenig für den Euro?
Das kann man hier und heute nicht entscheiden. Das sollte man erst tun, wenn wirklich klar ist, daß man die Kriterien nicht erfüllt. Denn zu warten macht keinen Sinn, vor allem, weil sonst die Märkte unruhig werden. Wenn die Situation klar ist, sollte man lieber offen etwas dazu sagen. Und gegebenenfalls muß man dann auch einen neuen Zeitrahmen bestimmen.
Wie lange geben Sie der Bundesregierung noch, bis sie die Währungsunion verschiebt?
Wir erwarten noch zwei Daten. Einmal die Wachtumszahlen des ersten Quartals. Dann im Mai die Steuerschätzung, die allerdings auf den etwas optimistischen Wachstumsschätzungen des Bundeswirtschaftsministeriums beruhen muß. Wenn die Zahlen gut sind, wird es die Debatte über Verschiebung nicht geben. Wenn die Zahlen schlecht sind, wird eine Entscheidung notwendig sein.
Wird mit einer Verschiebung des Euro die europäische Integration und er selbst beerdigt?
Auf keinen Fall. Das halte ich für völlig übertrieben. Die europäische Einigung besteht ja nicht nur im Euro. Wir haben aber darauf bestanden, daß wir eine solide Währungsunion beginnen wollen. Eine Währungsunion, die nicht glaubwürdig ist oder auch nur das Image hat, nicht glaubwürdig zu sein, bringt erst recht Unruhen und Schwierigkeiten. Übrigens mit dem hohen Risiko, daß sie dann später wieder scheitert. Das wäre natürlich der Super-GAU.
Warum ist ein weicher Euro denn so schlimm ?
Aus dem einfachen Grund: den Sorgen der Sparer hier in Deutschland. Außerdem finanzieren kleine und mittlere Unternehmen im wesentlichen ihre Investitionen über die Banken. Ein schwacher Euro aber wird zu höheren Zinsen führen. Das wäre sicherlich nicht positiv. Der einzig wirklich globale Markt ist der Geld- und Kapitalmarkt. Und da haben Sie ganz schnelle Reaktionen. Wer also eine weiche Währung hat oder sich auch nur den Anschein gibt, eine weiche Währung zu haben, der muß die Zeche bezahlen.
Aber eine europäische Währung könnte später international so wichtig sein, daß dies zu vernachlässigen ist.
Das glaube ich nicht. Denn Sie haben ja jetzt schon die ersten Warnreaktionen: Die Verlagerungen aus der D-Mark in den Dollar.
Hat es poltische Versäumnisse gegeben?
Ja. Ich kann doch nicht – wie Waigel das gemacht hat – ständig sagen: „Ich bin besonders scharf bei den Kriterien“ und dann eine Haushaltspolitik machen, die sich permanent verschätzt. Und man hätte viel früher klar sagen müssen, was die Vorteile des Projekts sind. Es ist ja ein sehr vernünftiges Projekt.
Warum?
Unabhängig vom Wirtschaftlichen ist der Euro ein großer Integrationsfaktor. Gerade wir als Bundesrepublik haben ein Interesse an der europäischen Integration. Ökonomisch ist es für die Bundesrepublik zudem vorteilhaft, daß es dann keine Wechselkursstörungen im Binnenmarkt mehr gibt. Außerdem bieten wir auf der Basis einer relativ kleinen Volkswirtschaft momentan eine der wichtigsten Reservewährungen weltweit an. Das hat immer wieder zu Spannungen geführt. Auch den europäischen Währungen gegenüber. Das würde mit dem Euro wegfallen. Bei einer gemeinsamen Währung hätte man auch die Chance gegenüber den beiden anderen Hauptwährungen – zur Zeit Dollar und Yen – Wechselkursschwankungen auszuräumen. Das Ganze gibt jedoch nur Sinn, wenn die gemeinsame Währung auf einem soliden Fundament ruht. Das hätte man füher deutlich machen müssen.
Ist die SPD noch für die Währungsunion?
Aber ja.
Geschlossen?
Für die Währungsunion ist die SPD weitgehend geschlossen. Es gibt immer einzelne, darüber rede ich nicht. Die große Mehrheit ist dafür, daß unter vertragsgemäßer Anwendung die Kriterien bewertet werden. Interview: Ulrike Fokken
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