: Alle Wege führen ins Grüne
Die Arbeiterbewegung ist Geschichte, die Zukunft gehört den Pragmatikern der Grünen-Partei. In dieser Woche erscheint Andrei S. Markovits' und Philip S. Gorskis engagiert einseitige Analyse über die deutsche Linke seit 1945 ■ Von Sven Kramer
Das alte Problem: Weil die Linke so vielfältig ist, paßt sie in keine Definition. Daß allerdings die Geschichte der Linken in der Bundesrepublik auf die der Grünen hinauslaufe, würden wohl nur wenige behaupten. Andrei S. Markovits und Philip S. Gorski aber tun es in ihrer dickleibigen Untersuchung über die deutsche Linke nach 1945. Sämtliche Erscheinungen des linken Spektrums, vom bewaffneten Kampf bis hinein in die SPD, klopfen sie ab nach deren Bedeutung für die Grünen. Um keine falschen Erwartungen zu wecken, hätte das Buch eigentlich als eine Geschichte der Partei angekündigt werden sollen, nicht als eine der Linken insgesamt. Andernfalls hätten weitere Stränge linken Engagements, zum Beispiel der der Autonomen, in ihrer Eigenbewegung dargestellt werden müssen.
Die Grünen und ihre Vorläufer analysieren die Autoren umfassend und fundiert. Markovits ist Professor für Politikwissenschaft an der University of California (Santa Cruz) und arbeitet auch am Center for European Studies an der Harvard-Universität. Gorski war Markovits' Schüler, heute lehrt er Soziologie in Madison, Wisconsin. Beide sind exzellente Kenner der bundesrepublikanischen politischen Verhältnisse. Schnell wird klar, daß die Grünen nicht nur ihr großes Thema sind, sondern sie mit ihnen auch sympathisieren. Zum Glück versuchen sie erst gar nicht, dies zu verbergen. Den trügerischen Objektivitätskult mancher Politologen machen sie nicht mit. So entsteht eine wissenschaftlich abgestützte Untersuchung, die Raum für engagierte Stellungnahmen der Autoren läßt.
Ihr Buch ist übersichtlich und intelligent strukturiert. Es beginnt mit den außerparlamentarischen Bewegungen seit 1945, geht auf die ideologische Herkunft des vielfältigen grünen Gedankengutes ein, analysiert die Entwicklung der Parteiprogramme, gibt eine ausführliche Chronologie grüner Politik und beschreibt die Entstehung der Ost-Grünen bis zur Vereinigung mit denen aus dem Westen. Abschließend folgt eine Zusammenfassung mit den Hauptthesen der Autoren und, weil die amerikanische Originalausgabe nur bis 1993 reichte, ein Epilog, der auf aktuelle Fragen eingeht. Alles in allem eine gut lesbare, griffige Einführung in die Theorie und die Politik der Grünen, die das Zeug zu einem Standardwerk hat.
Bund von Postmarxisten und Postmaterialisten
Daß die Grünen bei Markovits und Gorski die zentrale Stellung innerhalb der Linken einnehmen, entspricht einer Hauptthese des Buches, wonach die westliche Linke sich nach dem Zweiten Weltkrieg grundlegend verändert habe und die Grünen der sichtbarste, einflußreichste und weitgehendste organisatorische Ausdruck dieser Veränderung seien: „Die Grünen sind die bedeutendsten Vorläufer einer völligen organisatorischen und konzeptuellen Umgestaltung der alten europäischen Linken, die in der Industriearbeiterschaft verankert war“. Mit ihnen beginne „eine neue Periode in der Entwicklung der europäischen Linken, die einer revolutionären Neuformierung fortschrittlicher Politik in den hochentwickelten Industrienationen gleichkommt“.
Worin besteht dieser epochale Einschnitt? Zunächst in der gelungenen organisatorischen Einbindung der Mittelschichten in die linke Politik. Die Grünen stellten ein Bündnis zwischen der „,postmarxistischen‘ radikalen Linken und ,postmateriellen‘ reformistischen Mittelschicht“ dar.
Ferner in neuen Mobilisierungsstrategien, die sich von denen der Arbeiterbewegung unterscheiden. Markovits und Gorski datieren die ersten unabhängigen, außerparlamentarischen Bewegungen auf die Jahre 1950 bis 1956, als die Opposition gegen die Wiederbewaffnung und gegen die Stationierung von Atomwaffen entstand und die DKP verboten wurde.
In den 60er Jahren veränderte die Ostermarschbewegung ihren Charakter. Der „Kampf für Abrüstung“ wandte sich von den traditionellen Mobilisierungsformen ab und entwickelte sich „zu einer bunt gemischten ,Ein-Punkt‘-Bewegung“. Aus diesen Erfahrungen schöpften dann die APO der späten 60er und die neuen sozialen Bewegungen der 70er Jahre.
Für die Vorgeschichte der Grünen wurde, neben dem Scheitern der APO im kritischen Jahr 1968, die Entwicklung der SPD bedeutsam. Nach Brandts Reformpolitik enttäuschte Schmidt die Erwartungen der Linken in die SPD. Sparpolitik, Radikalenerlaß, deutscher Herbst, Nato-Doppelbeschluß hießen die Stichworte. Markovits und Gorski sehen diese Entwicklung der SPD als entscheidend für das Zustandekommen der Grünen an, die das politische Vakuum links von der SPD besetzt hätten. Insbesondere in der Ökologiefrage habe die SPD um 1977 „den Zug verpaßt und dadurch für mindestens zehn Jahre die Chance verspielt, in diesem zentralen Bereich progressiver Politik einer der Hauptakteure zu sein“.
Die Fundis blockieren die Parteientwicklung
Der bunte Flickenteppich außerparlamentarischer Bewegungen wurde durch die Anti-Atomkraft-, die Ökologie-, die Frauen- und die neue Friedensbewegung nationalisiert. Daraus ging 1980 die Partei der Grünen hervor. Wie selbstverständlich mündet so die Geschichte der Linken in die Parteigeschichte der Grünen ein. So schreiben die Autoren zwar Geschichte, aber sie erzählen auch eine, und zwar eine Erfolgsstory. Was sich nicht durchsetzen konnte, erscheint als Sackgasse. Das gilt nach 1980 auch für die Fundis. Held des Entwicklungsromans sind die Grünen, genauer: die Realo-Grünen.
Alle philosophisch-weltanschaulichen Einflüsse, die nach Meinung der Autoren aus fundamentalistischen Quellen hervorgehen, werden verurteilt. Verwerfliche theoretische Einflüsse des Dogmatismus erkennen sie nicht nur in den Schriften Bahros und Capras, sondern auch bei Bloch, Benjamin, Adorno und sogar bei Anders. Das Kapitel über die ideologischen Einflüsse gerät deshalb zu pauschal, ist durchsetzt mit kleineren oder größeren Mißverständnissen und kann nicht überzeugen.
Der Hauptvorwurf an die Fundis lautet, daß sie „für die ,blockierte Entwicklung‘ der Grünen- Partei verantwortlich“ seien. Ökolibertäre, Ökosozialisten und Realisten hätten darunter zu leiden gehabt. „Nur durch die Absage an den Fundamentalismus konnten die Grünen zu einer ökologischen Reformpartei werden.“ Natürlich begrüßen die Autoren den Austritt der Fundis aus der Partei 1991.
Als Hauptverdienst der Grünen sei das „,Ergrünen‘ des deutschen Parteiensystems“ in der Frage der Ökologie, aber auch in der Gleichstellungsfrage zu werten. Die Zukunft der Grünen-Partei wie der Linken überhaupt sehen sie in einer realistischen Reformorientierung, die auf ein rot-grünes Bündnis hinausläuft.
Weder mit dieser Einschätzung noch mit anderen Teilen der Studie werden alle Linken einverstanden sein. Anders als Joachim Raschke in seiner vorzüglichen Untersuchung über „Die Grünen“ (Bund-Verlag 1993) greifen Markovits und Gorski stärker wertend, zum Teil polemisch, in die Geschichte der Grünen ein. Das schadet der Darstellung der von ihnen favorisierter Strömungen nicht und kommt ihrer Thesenbildung zugute, die an Schärfe gewinnt.
Aufregend wird die Studie, wo der streitbare, US-amerikanische Blick die Grünen auf blinde Flecken ihres politischen Agierens hinweist. Der von den Autoren diagnostizierte Antiamerikanismus, Antizionismus und Antisemitismus einiger Grüner sollte sorgfältig diskutiert werden. Leidenschaftliche beharren sie zum Beispiel darauf, daß es einen Antisemitismus innerhalb der Frauenbewegung gebe. Neben politologischen Thesen liefert der Text also auch Debattenanstöße. Vor allem wird er wohl als Einführung dienen, denn auch bei den Grünen klopfen immer öfter Kinder und Enkel an, die wissen wollen, was Omi und Opi damals alles umtrieb.
Andrei S. Markovits/Philip S. Gorski: „Grün schlägt Rot. Die deutsche Linke nach 1945“. Rotbuch Verlag, Hamburg 1997, geb., 592 Seiten, 58 DM
Mit dem vorliegenden Band beendet der Verlag die Reihe über die europäische Linke nach 1945. Erschienen ist die Analyse über Frankreich (Sumil Khilnani, Revolutionsdonner) und Großbritannien (Lin Chun, Wortgewitter).
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