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Deutsche Dandys

Der Dandy und seine Techniken der Macht. Walther Rathenau, Alfred Herrhausen und Andreas Baader. Drei biographische Skizzen  ■ Von Karin Wieland

Der Dandy ist in Deutschland eine eher befremdende und ausgesprochen ungeliebte Figur. Die Distinktion des Engländers und der Charme des Franzosen sind Ausdruck eigentlich aristokratischer Kultur, die zum nationalen Verhaltensmuster wurde. Im spät geeinten Land blieben die „polaren Seiten“ von Geist und Macht stets getrennt. Walther Rathenau behauptete, daß die Deutschen sich im ländlichen und kleinbürgerlichen Milieu sicher und geborgen fühlen. Für gesteigerte bürgerliche Lebensform ist ein gültiges neuzeitliches Vorbild in Deutschland nicht geschaffen worden. Der kleinere Adel blieb gutsherrlich, patriarchalisch, stadtfeindlich, der größere international und abgesondert. Der Soldatenstand ließ nach außen nur einen kühlen Schliff erkennen, der zu brutal übersteigerter Nachahmung verführte, das Beamtentum, wirtschaftlich gedrückt und stolz verzichtend, machte in seinen Formen die Abwehr fühlbar, die ein Leben in unterordnenden und spaltenden hierarchischen Gepflogenheiten bedingt. In Deutschland prägten kriegerischer Ehrenkanon und militante Werte das Bild vom deutschen Mann. Hier wird die Frage nach dem Dandy zur Frage nach der Entstehung nationaler Verhaltensmuster, die Norbert Elias zufolge nichts anderes als sedimentierte Geschichte sind.

Carl Schmitt, der Rathenau haßte, hatte eine Gespür dafür, daß Rathenaus Selbststilisierung mit der Kulturhoheit der zivilisierten Nationen paktierte. So gilt England, das Land des Parlamentarismus, auch als das „Land des gelebten Dandyismus“ (Otto Mann). Die vornehme Gesellschaft bewegte sich wie „Götter incognito“ (Heinrich Heine) durch die Straßen Londons. Es war der Anzug, der den Anspruch auf Elite und Egalität im Prinzip der subtilen Einfachheit einlöste. Er wurde das Kostüm einer gesellschaftlichen Elite, deren intellektuelles Projekt die Suche nach einem Herrschaftsauftrag war, der den des Königs übertraf. Er war für die Gesten des Sprechens und das Sitzen am Konferenztisch gemacht. Nach John Berger ist der Anzug Ausdruck von Diskretion und Mühelosigkeit. Er gehört zur europäischen Nationalstaatsentwicklung, denn dem Volke zu dienen bedeutet, des Buhlens um Gefallen, welches den Dienst in königlichen Gnaden auszeichnet, ledig zu sein. Dieses Kostüm äußerlicher Egalisierung wurde in England zu einem raffinierten Instrument der Unterscheidung ausgebildet.

Der Dandy ist eine Übergangsgestalt, deren Kennzeichen Kälte, Provokation, Wille zur Macht und Hang zur Maskierung sind. Er ist ein Darsteller seiner selbst und hat sich der Selbstkontrolle und Selbstbespiegelung verschrieben. Das dandyistische Ideal ist männliche Vollkommenheit, wobei die äußere Erscheinung und der Geist ein harmonisches Ganzes bilden sollen. Es ist zu einfach, im Dandy den Retter der höfischen Anmut des Mannes vor der vulgären demokratischen Nivellierung zu sehen. Der Dandy ist eine Figur nationaler Selbstbildung des Mannes. Er ist dem Condottiere der italienischen Renaissance vergleichbar, der sich mittels List und Tücke an der Macht hielt. Den fehlenden Adel des Blutes ersetzt er durch eine Technik der Macht.

In Frankreich, dem Land der Revolution, war Mitte des 19. Jahrhunderts die gepriesene Tugend des dritten Standes durch eine Travestie der Gleichheit ersetzt worden. Charles Baudelaire fand die Kälte, den Hang zu Pose und Provokation, das geschärfte und dennoch gelangweilte Bewußtsein beim Künstler wieder. Er definierte ihn als Dandy, womit er eine elegante, unnahbare, herausfordernde und anspruchsvolle Figur meinte. Das Privileg der Begabung und das Leiden an der Gleichheit fand in ihm seinen Ausdruck. Als „Mann in der Menge“ vergleicht ihn Baudelaire mit einem Fürsten, der sein Incognito überall genießt. Allen gleich, macht er unempfindlich und kalt seine Beobachtungen, die die Grundlage seiner Kunst bilden. Der englische Dandy ist ein Gesellschaftsmensch, der französische Dandy porträtiert die Gesellschaft. Das Problem der Form einer nationalen und überlegenen Männlichkeit lösen sie mit Rückgriff auf höfische Reste, doch in bezug auf das neue Publikum der Gesellschaft. Diese Mischung erlaubt es den beiden nationaltypischen Ausformungen des Dandys, nicht zur Travestie, sondern zu einer Gestalt des Übergangs zu werden. Nach Baudelaire erscheint der Dandy, „wenn die Demokratie noch nicht allmächtig, wenn die Aristokratie erst ins Wanken geraten ist und ihre Würde noch nicht gänzlich eingebüßt hat“.

Das spezifische Kompositionsproblem des deutschen Dandys ist es, in einem Land ohne Gesellschaft eine Figur der Gesellschaft zu inszenieren. Die Lösung besteht, wie die drei folgenden Fälle belegen, in der Bezugnahme auf die Politik und den Staat.

Walther Rathenau

Er liebte es, sich als einsamen Denker am Schreibtisch fotografieren zu lassen. Unauffällig elegant im gut sitzenden Anzug, betonte er seinen Kopf durch den hohen weißen Hemdkragen und die dezent gemusterte Krawatte. Den sinnlichen Mund verdeckte er nur teilweise durch seinen gut geschnittenen Bart. In der einen Hand eine Zigarre, in der anderen den Schreibstift haltend, gibt er ein Bild vornehmer Männlichkeit ab.

Rathenau, 1876 in Berlin geboren, war ein Wilhelminer. Als Sohn eines Unternehmers und Wirtschaftsorganisators wuchs er in einer Zeit politischen und wirtschaftlichen Fortschritts auf. Der Vater betrieb die Elektrifizierung und Modernisierung eines Deutschlands, das endlich eine nationale Gestalt gewonnen hatte. Das deutsche Bürgertum hatte sich von seinen sozialen und antihöfischen Idealen verabschiedet und monarchisch-aristokratische Werte adaptiert. Diese spiegelten sich in einem Kriegerethos wider, in dem Härte des Lebens, die Betonung der Ungleichheit und das Recht des Stärkeren hochgehalten wurden. Männlichkeitsideale waren der Offizier und der Student der schlagenden Verbindung. Die Professoren blickten mit ihrem „Sedanlächeln“ (Bendetto Croce) auf die weniger kriegerischen Nationen England und Frankreich herab. Da zudem eine hauptstädtische „gute Gesellschaft“ fehlte beziehungsweise durch einen operettenhaften Hof ersetzt wurde, gab es keine zivilisierenden Instanzen. In dieser auf Adel und Militär ausgerichteten Nation hatte die gesellschaftliche Vermittlungsfigur des Dandy keinen Platz. Einzig der Krieger kann als Ausdrucksgestalt einer Herrenschicht erscheinen, die dem Ganzen sich nicht anschmiegt, sondern es sich unterwirft.

Walther Rathenau pflegte den Hang des Dandys zur Maskierung. Er war Kommunist im Damastsessel, dachte in internationalen Zusammenhängen und vergötterte das Preußentum, er war Kaufmann und wollte gerne Künstler sein, schwärmte für antimoderne Werte und war ein Modernisierer, kritisierte die Mechanisierung und trieb sie voran. Immer wieder fand er neue Ideen der Überlegenheit, mit denen er die alten Formen seiner Selbstdarstellung überschrieb. Er genoß die wechselnden Repräsentationen seines Selbst, und das Geheimnis, wer er eigentlich war, teilte er nur mit sich.

Der Dandy steht in gewisser Verwandtschaft zur Frau. Er beneidet ihr Talent zur Verhüllung und verachtet ihre Vulgarität. Die Frau und der Dandy sind im Besitz des Geheimnisses der Künstlichkeit und der Fiktion. So gesteht der den Männern zugeneigte Rathenau, er verdanke den Frauen und der Fremde viel. Demonstrativ sonderte er sich von der Welt ab, erwarb ein Schloß und stilisierte seine prinzipielle Einsamkeit. Seine Vereinsamung betrachtete er als etwas Schicksalgewolltes, es war die ihm zugedachte Form der Existenz. Er hatte nahezu Angst vor Auffälligkeiten und vermied es peinlichst, zum Exzentriker zu werden, der von jedem hätte nachgeahmt werden können. Rathenau machte sich die Distinktion des Engländers zu eigen, indem er makellos gekleidet auftrat, und verkündete: „Eleganz ist gemeisterte Verschwendung.“ In bewußter Absetzung von seinem bewunderten Kaiser gestaltete sich Walther Rathenau zu einer Art Gesamtkunstwerk. Der weltgewandte, vielsprachige Wissenschaftler und Unternehmer wußte, daß es ein Anachronismus war, den Dynasten als „den nationalsten Mann der Nation“, als den deutschen Mann schlechthin zu erwählen. Wilhelm II. konnte nur für eine verspätete Nation zu einer kultur- und stilbildenden Figur männlicher Überlegenheit werden. Rathenau hat den Kaiser wehmütig und zärtlich als eine Gestalt der Vergangenheit porträtiert. Vor ihm saß „ein jugendlicher Mann in Uniform, mit seltsamen Würdezeichen, die Hände voll farbiger Ringe, Armbänder an den Handgelenken; zarte Haut, weiches Haar, kleine weiße Zähne“. Er gehörte eigentlich in die Kinderstube mit „ihren englischen nurses und hygienischen Überzüchtigen“, von der er sich nicht gelöst hatte wie jeder neuzeitliche Dynast.

Walther Rathenau, der patriotische Außenseiter, hat es übernommen, eine überlegene Form des deutschen Mannes als Dandy auszubilden. Er genießt ein innerliches Vorrangbewußtsein dieser königlichen Fabelgestalt gegenüber. Das Ungenügen an der Zeit kompensiert er durch seine ästhetische Existenz und einen Kult der Schönheit. Er arbeite für den Staat, um dem Volke zu dienen, lautete sein politisches Bekenntnis. Er war ein Verehrer der Monarchie und doch kein Vernunftrepublikaner. So übernahm er staatliche Aufgaben sowohl im wilhelminischen Reich, wo er die Rohstoffversorgung während des Krieges organisierte, als auch in der Weimarer Republik als Wiederaufbau- und Außenminister. Rathenau war ein Verfechter der Elite, der die Gleichheit für einen gefährlichen Gedanken hielt. Hatten im Wilhelminismus, wie er schreibt, „aufgeschwemmte Burschen, schnöde und zynisch im Auftreten, mit geklebtem Scheitel, gestriemten Gesichtern, Reitstegen an den gestrafften Beinkleidern, schnarrender Stimme, die den Kommandoton des Offiziers nachahmte“ das Sagen gehabt, so galt ihm die Weimarer Republik als die „Zeit der kleinen Leute“. Erfolg hatten nach seinen Worten nur „Bierbankpolitiker“, die sich beliebt machten. Er dagegen war nicht ein Politiker der Kameraderie, sondern einer des vornehmen Geistes.

Immer wieder werden von Zeitgenossen seine Herzenskälte und sein Hochmut hervorgehoben. Eisig sei er gewesen. Um seine nervöse Sensibilität zu verbergen, reagierte er nach außen mit Unempfindlichkeit. Sein Ich-Kult ist ein Kult der Kälte, worin er in ein reflexiv-beobachtendes und ein handelndes Ich zerfällt. Diese Distanzierung von sich selbst ist die Voraussetzung seiner überlegenen Selbstdarstellung. Der Schmerz ist für ihn der „einzige Adel“.

Am Ende war er zu selbstgefällig geworden. Als formvollendetem Minister einer demokratischen Regierung fehlte dem Dandy das Gegenüber. Der Kaiser mit seinem „wagnerischen Apparat“ war verschwunden. Walther Rathenau wurde am 24. Juni 1922 von Rechtsradikalen ermordet. Bei seiner Trauerfeier spielte man den Trauermarsch für den erschlagenen Siegfried aus der „Götterdämmerung“. Der Dandy erhielt posthum die nationalen Weihen: Er war zum gescheiterten Helden Deutschlands geworden.

Alfred Herrhausen

Seine Initialen sind auch die des Führers, den Jahrgang teilt er mit dem Kanzler: Alfred Herrhausen wurde 1930 geboren. Betrachtet man die Porträts der Vorstandssprecher der Deutschen Bank vor und nach dem Zweiten Weltkrieg, so fällt auf, daß die Erscheinung Alfred Herrhausens eigentümlich mit der Veränderung des Banklogos korrespondiert. Dies wurde über die Jahrzehnte vom ausgeschmückten Ornament zum weißen Querstrich im Quadrat entwickelt: ein abstraktes Signum, das Energie ausstrahlt. Herrhausen war ein schöner Mann, dessen einziger Schmuck ein weißes Brusttuch im perfekt geschnittenen Anzug war. Im Gegensatz zu den jovialen, grämlichen, zu dicken oder zu dünnen anderen Herren weist er die richtigen Proportionen auf. Seine Männlichkeit bleibt sachlich, abstrakt, auf das Wesentliche beschränkt – wie das Logo der Deutschen Bank.

„Er war berüchtigt dafür, daß er in Verwaltungsratssitzungen die Dichter zitierte und darauf bestand, daß die Wirtschaft etwas sei, das man von anderen menschlichen Tätigkeiten nicht absondern könne und nur im großen Zusammenhang aller Fragen des nationalen, des geistigen, ja selbst des innerlichsten Lebens behandeln dürfe“, schreibt Robert Musil über Dr. Arnheim, welcher Dr. Rathenau sein soll und auch Dr. Herrhausen sein könnte. Herrhausen fühlte sich nicht nur als deutscher Banker mit Visionen, sondern auch als Philosoph. Wie kein zweiter bundesrepublikanischer Manager oder Politiker achtete der Essener auf vornehme Exklusivität und unerschütterliche Sicherheit des Auftretens. Er war ein begnadeter Rhetoriker, er formulierte druckreif und sprach bestes Oxford- Englisch. Er verpaßte keine Gelegenheit, sich zur Schau zu stellen, und sog die öffentliche Bewunderung wie eine Droge ein. Herrhausen war bemüht um äußere Makellosigkeit und geistige Brillanz.

Alfred Herrhausen, der auf einer Nationalsozialistischen Erziehungsanstalt (Napola) zu einem Führer der Herrenrasse hätte ausgebildet werden sollen, fand im Dandy die Form einer überlegenen nationalen Männlichkeit, wie sie ihm für einen Vertreter der Elite einer Demokratie angemessen schien. Aus „kleinen Verhältnissen“ stammend, wuchs er im katholischen Milieu auf und kam mit zwölf Jahren auf die Napola in Feldafing. Diese Tatsache wird in fast keinem der Porträts über ihn erwähnt, und er selbst wurde ungewohnt wortkarg, wenn die Rede darauf kam. Diese Erziehungsstätten hatten die erklärte Aufgabe, „durch eine besonders vielseitige, aber auch besonders harte, jahrelange Erziehung dem deutschen Volk Männer zur Verfügung zu stellen, die den Anforderungen gewachsen sind, die an die kommende Führergeneration gestellt werden müssen“. Er war 1942 einer von 6.000 Jugendlichen, die sich der Auslese der Härtesten, Tüchtigsten und Begabtesten zu stellen hatten. Aufnahmebedingungen waren, neben arischer Abstammung, „einwandfreie Charaktereigenschaften, Erbgesundheit, volle körperliche Leistungsfähigkeit, überdurchschnittliche geistige Begabung“. In seiner Pubertät ereignete sich der kollektive Zusammenbruch Deutschlands. Aus diesem Zustand materieller Not, psychischer Irritation und sozialer Zerrüttung nahm Herrhausen teil am Aufstieg der Bundesrepublik Deutschland. Wenn er später in der Öffentlichkeit von Liebe sprach, so galt sie dem Gemeinwesen dieser aus der Niederlage neugegründeten Republik. „Ich liebe die Bundesrepublik über alle Maßen, ich bin stolz auf das, was hier geschehen ist.“ Damit spricht Alfred Herrhausen über sich selbst, über seine Verwandlung vom nationalsozialistischen Musterschüler zur Symbolfigur der internationalen Wirtschaftsmacht Deutschland. Diese gelang ihm, indem er sich zum Dandy machte.

Hinter der von Alfred Herrhausen gepflegten ästhetischen Pose von Geist und Körper steckt „die Sehnsucht des Dandys nach der Existenz in einer überlegenen Form, einer Art Übermenschentum“ (August Buck). Er lebte in einer ständigen Willensanstrengung, scheinbar mühelos der Beste der Besten zu sein. Die militärische und rituelle Formung des Körpers war Teil des nationalsozialistischen Erziehungsprogramms. Herrhausen wandelte die gelernte Affektkontrolle zum Stil des Dandys, der weltmännische Gelassenheit und Willensstärke demonstriert.

Alfred Herrhausen machte eine glänzende Karriere: Mit 25 Jahren hat er promoviert, mit 37 Jahren war er Finanzvorstand der Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen, und vier Tage vor seinem 40. Geburtstag trat er sein Amt im Vorstand der Deutschen Bank an. Den mächtigen Herren im Vorstand machte er unmißverständlich klar, daß er niemanden von ihnen als gleichgestellt akzeptierte. Als Napola-Schüler hatte man ihn ein klares Selbstbewußtsein seiner elitären Position gelehrt. Es war wichtig, den Anspruch, der Beste zu sein, auch gegenüber den anderen durchzusetzen. 25 Jahre danach war er primus inter pares, alleiniger Sprecher der allmächtigen Bank und einer der wichtigsten Männer der Republik. Er war kein biederer und ungelenker deutscher Michel, sondern ein gewandter Stratege auf dem internationalen Parkett.

Seine prinzipielle Einsamkeit zeigte sich bei seinen seltenen Besuchen von Gesellschaften. Er stand zumeist alleine herum, trank statt Champagner ein Glas Bier und verschwand bald wieder. Er wußte, daß er durch schweigende Betrachtung sein Publikum am meisten irritierte. Das Glas Bier ist Ausdruck seiner Elitenbindung ans Volk. Auch dies finden wir im Ideal der Napola wieder, nach dem die künftige Elite den Auftrag des Volks auszuführen hat. Herrhausen war der Beste der Besten, der sich der Gesellschaft der Gleichen verpflichtet fühlte. Die klassenlose Figur des Dandy bot ihm die demokratische Form elitärer Überlegenheit, die sich in der Masse realisieren kann.

Seine Abgeschiedenheit von der Welt zelebrierte er im 30. Stock in einem der Türme der Deutschen Bank in Frankfurt am Main. Er wird als Mann von eisiger Eleganz geschildert, der Vorträge über fehlerfreies Denken hielt. Man sagte ihm Unmenschlichkeit nach. Er war eine sensible und intellektuell neugierige Natur, die mit großer Härte gegen sich selbst arbeitete. In der Kälte fühlte er sich sicher vor dem Pathos. Sein Büro war gewält unterkühlt gestaltet: weißer Lack, Marmor, schwarzer Schreibtisch und Kunst von Beuys.

Alle Dandys, die in die Jahre kommen, erinnern unwillkürlich an Dorian Gray. Auch Herrhausen hatte etwas verspätet Jugendliches an sich und eine gewisse Nähe zum Wesen der Frau. In der grauen und nüchternen Riege der bundesrepublikanischen Unternehmer und Banker wirkte er wie eine schöngeistige Gestalt, mit der man sich schmückt.

Herrhausen hatte ein ungebrochenes Verhältnis zur Macht, und er fühlte sich ausdrücklich als ein „politisches Wesen“. Der Banker ist der Verwalter der Zukunft. Er hat die Kontrolle über die Kapitalressourcen, für die der Politiker Rahmenbedingungen setzt und nationale Projekte realisiert. Der Banker ist ein wichtiger Berater der Politik, er steht ihr mit denkerischer und praktischer Hilfe zur Seite und kann Kapital zur Durchsetzung von Politik zur Verfügung stellen. Herrhausen war ein Freund von Helmut Kohl und Anhänger von Glasnost. Das dandyistische Streben nach Unabhängigkeit finden wir bei ihm wieder in der Betonung der Unabhängigkeit von der Geschichte. Sein multinationales Konzept des global player war gebunden an die Ausbildung einer deutschen Identität, die er seit dem Ende des Krieges verloren glaubte. Die Umwandlung Deutschlands in eine europäische Macht konnte für ihn nicht gelingen, wenn die Deutschen die Erben Hitlers blieben.

Alfred Herrhausen, der in „harter Zucht“ zum politischen Soldaten einer deutschen Herrenrasse ausgebildet worden war, gelang es, als Dandy sein Ideal männlicher Überlegenheit auszubilden. Durch die Dandy-Eigenschaften der schlichten Eleganz und des brillanten Geistes wurde er zum Symbol einer selbstbewußten Bundesrepublik. Er wurde am 30. November 1989 von Terroristen ermordet. Selbst sein gewaltsamer Tod durch eine Bombe wies noch eine gewisse Eleganz auf: „wie Seidenpapier“ zerriß es das gepanzerte Auto.

Andreas Baader

Ein Bild des jungen Andreas Baader findet sich in einem Fotoband zusammen mit schwulen Aktfotos, Aufnahmen der Trümmerlandschaft Berlins und eleganten Modefotografien. Er ist in der Mitte des Bildes plaziert und schaut den Betrachter eindringlich und gleichzeitig gelangweilt an. Sein Oberkörper ist nackt, das zusammengeknüllte Hemd liegt neben ihm. Er hat eine behaarte Brust, ist breitschultrig und wirkt angenehm weich. Seine Schlüsselbeine werfen zarte Schatten, er hat die Beine übereinandergeschlagen und die Arme gekreuzt. Seine Körperhaltung ist gelöst, sein Blick zwingend. Er hat einen sinnlichen Mund, dunkle Augen, und seine schwarzen Haare sind wie die eines vornehmen Römers geschnitten und leicht zerzaust. Er macht einen lebensmüden, erfahrenen und verführerischen Eindruck.

Andreas Baader wurde 1943 in München geboren. Sein Vater war ein promovierter Historiker und fiel 1945 an der Ostfront. Der drei Jahre ältere Rolf Dieter Brinkmann hat über seine Generation geschrieben: „Trümmer, zerrissene Häuser, Betonbrocken, Brandphosphorbomben und blaue Narben am Körper des Spielkameraden ... das ist es, was sich als erste Lebenskulisse ergab.“ Sie waren „eine Gerümpel-Generation, hastig und mit Angst vor dem Krieg oder in den ersten Kriegstagen zusammengefickt“. Andreas Baader verdankte dem Krieg sein Leben. Dieses Gefühl drückt sich aus, wenn er 1970 während seiner Guerillaausbildung im jordanischen Trainingslager schreibt: „Ficken und Schießen sind ein Ding.“

Er wuchs in einem Frauenhaushalt auf mit Mutter, Großmutter und Tante. Der geliebte Junge war gewalttätig, begabt, kriminell und von nervöser Sentimentalität. Er stahl Autos, prügelte sich und mußte immer wieder die Schule wechseln. Ohne Abitur ging er mit 20 Jahren nach Berlin. Der „Prinz der Jugend“ (Maurice Barrès) ließ sich bewundern, erzählte geheimnisvolle Geschichten über seine Herkunft und liebte Männer wie Frauen ohne Interesse. Er war ganz auf sich selbst fixiert und darauf bedacht, seine Macht an anderen zu erproben. Nachdem er die aufruhrbereite Gudrun Ensslin kennengelernt hatte, genügten ihm nicht mehr seine kleinen Triumphe in der Berliner Bohème.

Andreas Baader verwandelte irgendwann Ende der sechziger Jahre seine Hochstaplerexistenz in eine politische Mission. Er war gezwungen, das Böse zu tun auf der Suche nach dem vermeintlich Guten. Der schöne junge Mann, der so einfach Macht über andere bekam, wurde zu einem Dandy des Bösen. Für Albert Camus ist derjenige, der das göttliche und moralische Gesetz herausfordert, nicht der Revolutionär, sondern der Dandy. Er schafft sich selbst durch die Weigerung und die Verneinung. Sein Leben kann er nicht leben, deshalb spielt er es vor. Dazu braucht er das Publikum, das er in immer wieder neuen Inszenierungen reizt. Auch Baader versuchte immer wieder, die eine terroristische Aktion durch die andere zu überbieten. Die anderen, das heißt die bundesrepublikanische Öffentlichkeit, waren der Spiegel, in dem er sich gespiegelt sehen wollte. „Immer im Bruch mit der Welt, am Rand, zwingt er die andern, ihn selbst zu erschaffen, indem er ihre Werte leugnet.“ (Albert Camus) Baader war der Dandy, der sich zum einsamen Herrscher geboren fühlte und doch wußte, daß er verloren war.

Der Dandy kennt keinen Nächsten. An Baaders Führungsanspruch innerhalb der verschworenen Gruppe bestand kein Zweifel. Von anderen RAF-Gefangenen wurde er „Generaldirektor“ genannt, seine Briefe pflegte er in grüner Cheftinte zu schreiben, und man fürchtete ihn. Baader fühlte sich als mächtiger Mann. So wollte er in Jordanien mit seinem palästinensischen Ausbilder gleichberechtigt von Partisanenchef zu Partisanenchef verhandeln und beim Prozeß in Stammheim mit Generalbundesanwalt Buback ein Verhör führen.

Die Kälte war eine der Voraussetzungen der Herrschaft des Dandy Baader. „Ich denke, wir werden den Hungerstreik diesmal nicht abbrechen. Das heißt, es werden Typen dabei kaputtgehen ...“, schrieb er über den dritten Hungerstreik, der zwei Todesopfer forderte. „Wenn du nicht hart genug bist, hast du hier nichts zu suchen.“ Er verstand sich selbst als Front, als vorderste Kampflinie. Daher ist es nicht verwunderlich, daß Baader 1972 den ersten Hungerstreik initiierte und damit seinen Körper zur Waffe machte. Es ging nicht mehr nur um eine dandyistische Selbstdarstellung in bewußter Absetzung von der Gesellschaft. Baader ging weiter und setzte seinen Körper gegen die Gesellschaft.

Baader besaß das Monopol des Narzißmus innerhalb der Gruppe. Er war das schöne Wesen und duldete niemanden neben sich. In bezug auf sein Äußeres gebärdete er sich unvernünftig wie eine Frau. Bei der Guerillaausbildung weigerte er sich, einen Kampfanzug anzuziehen, und robbte in seinen engen Samthosen durch die Wüste. Als Dandy bewunderte er die künstliche Schönheit der geschminkten Frau. In seiner Bohème-Zeit ging er gerne geschminkt als Gegenstand des öffentlichen Amüsements aus dem Haus. Auch in seiner Stammheimer Zelle fand man Lidschatten, Pelze und Haarspray. Andreas Baader war der Dandy aus der Welt der Frauen, der seinen Krieg gegen den Staat führte.

Baaders Rückzug aus der Gesellschaft war total. Er lebte in einer künstlich geschaffenen Welt. Sie sollte ihm helfen, sein Leben als eine Art heroisches Kunstwerk zu führen. Er war die Avantgarde und Gudrun Ensslin seine Propagandistin, die ihn als eine Erlöserfigur aufbaute. Sie schrieb über ihn: „Das kollektive Bewußtsein, die Moral der Erniedrigten und Beleidigten, das Metropolenproletariat – das ist Andreas.“ An ihm, der sich über die Ziele bestimmte und ein neuer Mensch geworden ist, nämlich „klar, stark, unversöhnlich, entschlossen“, sollten sich die anderen ein Vorbild nehmen. Die Begründungen seiner Verbrechen waren fern von einem vernünftigen Inhalt. Daran zeigt sich ihre dandyistische Struktur.

Mit seinem analytischen, kalten Blick durchschaute er die „konsequenz der strukturen“ und konnte das gesamte Weltgeschehen erklären. Wer so viel sieht und so erhaben ist, der leidet Schmerzen. Die Schmerzen rechtfertigen den gewaltsamen Exzeß. Er benutzte bis zu seinem Tod regelmäßig Aufputsch- und Beruhigungsmittel. Er redete nächtelang ununterbrochen, „von Adam und Eva bis Josef Stalin“. „In den Mundwinkeln standen ihm Speicheltropfen. Fast ständig raufte er sich beim Reden die Haare, zog rechts und links über den Schläfen an den blondierten Strähnen, drehte und zog, zog und drehte.“

Der dandyistische Ich-Kult von Andreas Baader endete in einer Art Hysterie. Charles Baudelaire wußte, daß der Dandy, der seiner Affinität zum Verbrechen erliegt, auch seine vornehmste Eigenschaft, nämlich die der Selbstbeherrschung, verliert. Die im dandyistischen Kult gesteigerte Subjektivität verkehrt sich in ihr Gegenteil und wird zur unentrinnbaren Gewißheit der eigenen Nichtigkeit und des Untergangs. Andreas Baader wurde am 18. Oktober 1977 erschossen in seiner Gefängniszelle aufgefunden.

Walther Rathenau, Alfred Herrhausen und Andreas Baader sind deutsche Dandys, die zwischen dem Willen zur Weltbeherrschung und dem Rückzug aus der Welt schwankten. Wo die Nation zu spät und die Moderne zu schnell kam, war kein Platz für sie.

Alle drei starben für Deutschland.

Der hier abgedruckte Text ist eine gekürzte Fassung von Karin Wielands Essay „Deutsche Dandys“.

Aus: Kursbuch 127 „Männer“. Rowohlt Berlin, 180 Seiten, 18 DM

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