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Die Citoyens skandieren: Stoppt Le Pen

In der Europastadt Straßburg findet Ostern der 10. Parteitag der Front National statt. Seit Wochen machen Bürgergruppen, Intellektuelle und Künstler gegen die Rechtsextremen mobil  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Eine schwarze Trauerflagge wehte gestern morgen über dem Straßburger Münster. Gegner des Parteitags der Front National, der heute in der elsässischen Stadt beginnt, hatten sie über Nacht auf dem Kirchturm gehißt. Auch unten in den Straßen und Gassen Straßburgs ist alles auf die Rechtsextremen vorbereitet: Das Denkmal der Nationalheiligen Jeanne d'Arc ist demontiert – „aus Sicherheitsgründen“, wie das sozialistische Rathaus verlauten läßt. Der republikanische Slogan „Liberté, Égalité, Fraternité“ schmückt in allen möglichen Sprachen die Werbeflächen, ein Kabarett bietet das Stück „Arbeit macht frei“, die Kirchen verteilen Flugblätter gegen die Intoleranz, ein Kulturzentrum hat sich christomäßig verhüllt, das Schriftstellerparlament erwartet Salman Rushdie zur Diskussion, und französische Physiker bereiteten ihren Saal für das Kolloquium über „Naturwissenschaft und Ideologie“ vor.

Was heute nachmittag um 15 Uhr beginnt, kündigt sich als die größte Demonstration der Straßburger Nachkriegsgeschichte an. Die Parole „Stoppt Le Pen“, ausgesprochen von Dutzenden von Bürgerinitiativen, hat Künstler- und Intellektuellengruppen, sämtliche linken Parteien, vereinzelte Konservative und fast alle französischen Gewerkschaften mobilisiert. In ganz Frankreich charterten sie Busse und „Freiheitszüge“. Auch aus den Nachbarländern jenseits des Rheins erwarten sie Teilnehmer. In Straßburg werden sogar die Spitzen der französischen Linken vertreten sein – der zögerliche Sozialistenchef Lionel Jospin eingeschlossen, der es beim letzten Mal noch vorgezogen hatte, fernab des Ereignisses in Toulouse zu demonstrieren.

Die Front National, die sich jahrelang beinahe unbehindert breitmachen konnte, stößt heute in Frankreich auf Widerstand. Den Auftakt der neuen Protestbewegung machte Grenoble, wo Anfang Dezember 20.000 Menschen gegen einen Besuch des Front-National-Chefs Jean-Marie Le Pen demonstrierten. Seither stoßen die Rechtsextremen, wo immer sie auftreten, auf Widerstand: In Saint-Étienne, in Marseille, in Annecy und selbst in Provinzstädtchen wie dem westfranzösischen Auch. Spektakulär verlief vor zwei Wochen eine Aktion auf der Buchmesse in Paris. Dort schlug eine Gruppe von Linken binnen weniger Minuten den Stand der Rechtsextremen zu Bruch.

Der Buchmessenstand der Front National war zustandegekommen wie die anderen Auftritte der Rechtsextremen auch: Die traditionellen Institutionen bemerken entweder gar nicht, worauf sie sich einlassen, oder verfügen nicht über die Mittel, um die Rechtsextremen auszuschließen. Bei der Buchmesse hat die Kommandoaktion immerhin dazu geführt, daß einzelne große Verlage ankündigten, sie würden im nächsten Jahr nur dann teilnehmen, wenn die Veranstalter garantierten, daß weder antisemitische noch rassistische Aussteller zugelassen seien.

Auch in Straßburg ging der heutigen Demonstration ein Versagen der Institutionen voraus. Die sozialistische Bürgermeisterin sowie der von Paris entsandte Provinzpräfekt sahen sich nicht in der Lage, den 10. Parteitag der Front National zu verbieten. Die Stadt, Hauptaktionärin des Kongreßzentrums, vermietete den Rechtsextremen sogar das Veranstaltungslokal. Bürgermeisterin Catherine Trautmann, die 1992 bereits einmal mit einem Veranstaltungsverbot gegen die Front National vor Gericht gescheitert war, argumentierte dieses Mal für eine „politische Auseinandersetzung“ mit den Rechtsextremen. Sie selbst rief zu einer „Mobilisierung der Citoyens“ auf und bot 40 Rathausmitarbeiter für die Vorbereitung der Gegendemonstration auf.

Auch die französische Justiz hat gegenüber den Rechtsextremen konsequent ihre Unfähigkeit bewiesen. Ohne Sorge vor Strafverfolgung können Le Pen und seine Leute ihre verfassungsfeindlichen und rassistischen Thesen entwickeln, obwohl es genügend Möglichkeiten für eine Verfolgung und sogar ein Verbot der Partei gibt. Zuletzt zeigte sich das gegenüber der im Februar gewählten Front- National-Bürgermeisterin der südfranzösischen Stadt Vitrolles. Catherine Mégret, eine Strohfrau ihres von einem Wahlverbot betroffenen Gatten, sagte deutlich, was andere Spitzenmitglieder der Partei nur verschleiert von sich geben. In einem Interview mit der Berliner Zeitung kündigte sie an, sie werde die Sozialleistungen für Immigranten streichen. Damit verstieß sie gegen französische Gesetze, aber kein Staatsanwalt wurde tätig. Das Engagement von 80 Privatpersonen war nötig, um Madame Mégret anzuzeigen. Am 30. April muß sie sich wegen „rassistischer Diffamierung“ vor einem Gericht in Aix-en-Provence verantworten.

Das Scheitern der traditionellen Institutionen und das Erstarken der Rechtsextremen hat nicht nur die Bürgerrechtler auf den Plan gerufen. Auch die politische Klasse, sucht nach anderen Umgangsformen mit den Rechten. Die Vorschläge der Sozialistien reichen von einem Parteienverbot bis hin zu der Forderung nach mehr politischer Auseinandersetzung mit den Rechtsextremen. Die Konservativen haben sich unterdessen auf die Sozialisten als Hauptverantwortliche für das Erstarken der Rechtsextremen eingeschossen. Einzelne Konservative und der Nobelpreisträger Elie Wiesel hingegen propagieren das „Totschweigen“ der Rechtsextremen. Kein Wort über sie soll mehr in der Öffentlichkeit erscheinen.

Im Elsaß ist im Vorfeld des rechtsextremen Parteitags ein Konkurrenzkampf unter den Lokalpolitikern ausgebrochen. Die sozialistische Bürgermeisterin von Straßburg verärgerte die Konservativen mit ihrem Aktivismus bei den Demonstrationsvorbereitungen. Konservative Politiker werfen ihr vor, die Proteste „politisch zu vereinnahmen“ und taktisch für die Parlamentswahlen im nächsten Jahr einzusetzen. Statt gemeinsam mit allen anderen Front-National- Gegnern werden ein paar konservative Lokalpolitiker deswegen allein demonstrieren.

Le Pen hingegen, der bei den Präsidenschaftswahlen 1995 im Elsaß stärkster Kandidat im ersten Durchgang war, versucht, aus allen Gegendemonstrationen Kapital zu schlagen. Seit Tagen bereits kündigt er „Ausschreitungen“ an. Wie üblich macht er von vornherein seine politischen Gegner für alle Unbill verantwortlich.

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