: Mit 29 zu alt für einen Job
Wie thailändische Textilarbeiterinnen in Düsseldorf ihre Abfindung einforderten. In Bangkoks Kleiderfabriken haben Gewerkschaften keine Chance ■ Von Christa Wichterich
Die Americanwear Europe GmbH bekam letzte Woche ungewöhnlichen Besuch an ihrem Sitz in Düsseldorf: Zwei Textilarbeiterinnen aus Bangkok wünschten ein Gespräch mit dem Geschäftsführer. Die beiden hatten zehn Jahre in einer Fabrik der Firma Eden Group T-Shirts genäht. Von Quelle bis Kaufhof, von Horten bis C&A – fast alle Handelsgrößen hatten Eden-Produkte im Angebot.
Bis zum vergangenen Jahr: Da geriet die Eden in die Schlagzeilen. „Kinderarbeit“ lautete der Vorwurf, die Fabrik mußte schließen, das Management tauchte ab — und die Arbeiterinnen standen auf der Straße. Doch Abfindung, die ihnen nach thailändischem Arbeitsrecht zusteht, wurde nicht gezahlt. Nun waren vier Textilarbeiterinnen nach Düsseldorf gekommen, sie verlangten Kompensation von Americanwear, dem Zwischenhändler.
Wenn man sie nach ihrer Zukunft fragt, verliert Yaowapa Donsai, eine der Arbeiterinnen, die Fassung. Sie gehört zu den billigen Arbeitskräften, die für das thailändische Wirtschaftswunder verheizt wurden. Mit ihren 29 Jahren gilt sie bereits als verbraucht und wird kaum einen neuen Fabrikjob finden. In Bangkok teilt sie sich ein Zimmer mit drei anderen Arbeiterinnen. Den größten Teil ihres Lohns gab sie für Miete und Essen aus, trotzdem sparte sie stets etwas ab für ihre Eltern, die in einem Dorf in der Armenregion Isaan leben. Sie will weiterkämpfen für eine Entschädigung. „Thailand ist doch eine Demokratie. Diese Unternehmen dürfen das Leben der Arbeiterinnen nicht einfach kaputtmachen.“
Von Anfang an herrschten bei Eden keineswegs paradiesische Zustände. Als die Arbeiterinnen 1991 wegen der schlechten Arbeitsbedingungen einen Betriebsrat gründeten, baute das Management die Belegschaft von über 4.000 Frauen langsam ab und vergab immer mehr Aufträge an Subunternehmer in dunklen Hinterhöfen oder in Heimarbeit. Dort konnten unbeobachtet auch Kinder mitarbeiten. Und die Frauen waren von gewerkschaftlicher Organisierung ausgegrenzt. Keine Verträge, kein Mutterschutz. Gleichzeitig vergab die Eden Group auch Aufträge nach China, wo die Löhne noch niedriger sind.
Flexibilisierung und Heimarbeit sind die gängigen Strategien zur Senkung der Produktionskosten, wo erstarkende Gewerkschaften mehr Rechte fordern. Immer öfter werden die Frauen nur noch in Stoßzeiten abgerufen und nicht mehr dauerhaft beschäftigt. Oder aber die Konzerne verlagern ihre Standorte sozusagen über Nacht in ein neues Billiglohn-Eldorado. Hit and run – zuschlagen und abhauen.
All diese Methoden transnationaler Unternehmen sind nicht ungewöhnlich für Thailand, für die anderen „Tiger“ Südostasiens und die Schwellenländer Mittelamerikas und Nordafrikas. Ungewöhnlich aber ist, daß zwei der entlassenen thailändischen Arbeiterinnen nun plötzlich in Deutschland vor der Tür der Auslandsvertretung ihres Arbeitgebers standen.
Erfreut zeigte sich Geschäftsführer Warren Brickell von Americanwear nicht, aber gesprächsbereit. Zuvor waren in dem Düsseldorfer Büro herumstehende Kisten und Kartons mit T-Shirts und Pyjamas flink weggeräumt worden, deren Verpackung als Herkunft die Firma Eden und als Abnehmer den Otto-Versand auswiesen.
Trotzdem wies Brickell jegliche Verantwortung weit von sich: Americanwear habe mit der Eden Group keine Geschäftsbeziehungen. An Kompensationszahlungen durch die Firma sei folglich überhaupt nicht zu denken, so der Geschäftsführer, zumal die Thailänderinnen durch ihr öffentliches Auftreten dem Unternehmen so große Verluste beschert hätten, daß es bereits vier Düsseldorfer Mitarbeiterinnen hätte kündigen müssen. Vielleicht müsse er den Laden sogar ganz schließen, beschwor Brickell die Notlage.
Da standen sich in dem Düsseldorfer Büro nun unterschiedliche Verliererinnen der Gewinnspiele transnationaler Konzerne gegenüber: entlassene thailändische Arbeiterinnen, die grundlegende Rechte und soziale Mindeststandards fordern, und entlassene deutsche Angestellte, denen erzählt wird, durch die unverschämten Forderungen der Thailänderinnen würden die Gewinne derart schrumpfen, daß Arbeitsplatzabbau notwendig sei.
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