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Blaues Wunder in Dresden?

Erbitterter Brückenstreit. Landesregierung will Großversion. Stadtparlament ist dagegen und wird von Gutachten aus Stuttgart unterstützt  ■ Aus Dresden Nana Brink

Noch einmal werden die Dresdner wohl kein „Blaues Wunder“ erleben. Vor fast genau hundert Jahren hat die blau lackierte Stahlbrücke mit dem poetischen Namen die Bürger der stolzen Residenzstadt entzweit. Nun gilt sie als einzigartiges Industriedenkmal. Dieses Schicksal wird der „Waldschlößchenbrücke“ wohl erspart bleiben, wird sie doch gar nicht erst gebaut. Über nichts ist man in Dresden derzeit zerstrittener als über die Frage, wo, wie und zu welchen Konditionen Brücken über die Elbe geschlagen werden sollen. Mittlerweile scheint alles möglich. Die große Variante, vierspurig und mit Straßenbahntrasse und Tunnel am Ende, eben die „Waldschlößchenbrücke“. Oder die kleine Variante, zweispurig und ohne Unterführung. Oder vielleicht sogar ganz viele kleine Brücken. Die Kosten bewegen sich zwischen 120 bis 200 Millionen Mark. Nur eines scheint unmöglich: Eine baldige Entscheidung, geschweige denn ein Wunder.

Seit Monaten tobt in Sachsens Landeshauptstadt ein „Brückenstreit“, der immer schillerndere Züge annimmt und seltsame Koalitionen schmiedet. Streitpunkt ist die favorisierte Großversion der geplanten Elbüberquerung, seit Jahren das Lieblingskind nicht nur des Oberbürgermeisters, sondern auch der Staatsregierung. Damit auch niemandem verborgen blieb, was die Landesregierung für ihre Hauptstadt wünscht, verkündete CDU-Wirtschaftsminister Kajo Schommer schon vergangenes Jahr nach Gutsherrenart, daß der Freistaat Fördermittel ausschließlich für die „Waldschlößchenbrücke“ bereitstellen würde. Der Angriff auf kommunale Entscheidungsspielräume blieb nicht unbeantwortet. Die PDS, die in Dresden rund 25 Prozent der Bürger hinter sich weiß, organisierte eine Initiative für ein Bürgerbegehren gegen den Brückenbau. Geschickt inszenierte Dresdens PDS-Vorsitzende Christine Ostrowski den Kampf wider die „Mega-Brücke“ als Bürgerprotest gegen die selbstherrlichen Brückenbauer in Staatskanzlei und Rathaus.

Normalerweise wäre der Streit wohl auf lokalpolitischer Ebene verpufft, hätte sich die PDS- Frontfrau, stadtbekannt für populistische Kampagnen gegen Mieterhöhung und Autobahnbau, nicht ausgerechnet Hilfe aus Sachsens Partnerland Baden-Württemberg geholt. Ein 100seitiges Gutachten des Kommunalrechtlers und ehemaligen Stuttgarter Regierungspräsidenten Manfred Bulling konstatierte erhebliche Mängel bei der Planung der Großbrücke und erklärte die Drohung des Wirtschaftsministers, nur Fördergelder für die der Staatsregierung genehme Brücke bereitzustellen, schlicht für „verfassungswidrig“. Das Rechtsgutachten des – pikanterweise – CDU-nahen Professors schlug ein wie eine Bombe. Die Dresdner CDU nannte Bullings Gutachten „Schmierpapier“, und Anfang März bezeichnete Wirtschaftsminister Schommer den erfahrenen Juristen einen „aus Westdeutschland stammenden, dort abgehalfterten sogenannten Rechtsfachmann“.

Seit zwei Wochen nun sind die Lager heillos verfeindet, denn der Dresdner Stadtrat widersetzte sich den landesherrlichen Brückenträumen. Mit knapper Mehrheit beschloß das Kommunalparlament, in dem CDU und PDS die stärksten Fraktionen stellen, nach hitziger Debatte, das Bürgerbegehren zuzulassen. CDU-Oberbürgermeister Herbert Wagner will nun gegen das Stadtratsvotum klagen. Der Brückenschlag, ob einer oder mehrere, wird sich damit ins nächste Jahrtausend verschieben. So lange werden die Gerichte wohl brauchen, um juristisch ans andere Ufer zu kommen.

Aus der Traum. Dabei hatten sich Dresdens glückloser OB und seine Förderer in der Staatsregierung alles so schön vorgestellt. Schon vor hundert Jahren existierten Pläne, an der breitesten Ausbuchtung der Elbe im Osten der Stadt eine Brücke zu bauen. Heute heißt die Devise: Nicht kleckern, sondern klotzen. Mitten durch die idyllische Hügellandschaft mit den sanften Elbauen sollte die „Waldschlößchenbrücke“ die Verkehrsschneise „ins nächste Jahrtausend“ schlagen. Um die Wohnviertel im Süden mit dem aufkommenden nördlichen Industriegebiet zu verbinden, sollte eine vierspurige Autotrasse nebst Straßenbahn und Untertunnelung die Elbseiten miteinander verbinden. Kostenpunkt: rund 200 Millionen Mark.

Alles wäre glatt gelaufen, hätte ein aufmüpfiger Stadtentwicklungsdezernent nicht 1996 überraschend ein „Mehrbrückenkonzept“ präsentiert. Der parteilose Gunter Just, ehedem Mitglied der sächsischen Architektenkammer, erklärte die Pläne seines Oberbürgermeisters für „nicht angemessen“. Statt einer großen Brücke wollte Just mehrere kleine, die nicht nur den innerstädtischen Verkehr besser entlasten würden, sondern auch typischer für „Elbflorenz“ seien.

Im Dresdner Brückenstreit prallen seitdem zwei Interessenblöcke aufeinander. Die Staatsregierung mit dem OB im Schlepptau will ihre Landeshauptstadt ans überregionale Straßennetz anbinden und überdies Großinvestoren wie Siemens und dem amerikanischen Chip-Hersteller AMD „freie Fahrt“ versprechen. Geht es nach ihren Planungen, könnten täglich bis zu 41.000 Fahrzeuge über die 450 Meter lange Brücke brausen. Das Bürgerbegehren hingegen, dem neben der PDS auch Architekten und Bürgerbündnisse unterschiedlichster Parteicouleur angehören, will mit mehreren kleinen Brücken den überregionalen Verkehr aus der Stadt halten. Nach ihren Schätzungen würden selbst zwei kleinere Brücken insgesamt nur 120 Millionen Mark kosten. Über 20.000 Dresdner, und damit die für ein Bürgerbegehren erforderlichen fünf Prozent, unterschrieben den Initiativantrag im letzten Sommer. Nun haben die Gerichte zu klären, ob das Bürgerbegehren letztendlich zugelasen wird. Während Kommunalrechtler Bulling keinen Zweifel daran hegt – „das Vorgehen des Oberbürgermeisters verstößt vehement gegen die Kommunalverfassung“ –, will das Stadtoberhaupt seinerseits ein Bürgerbegehren „Pro Waldschlößchenbrücke“ initiieren. Bis es dazu kommt, werden Jahre vergehen, und manch staugeplagter Dresdner wird weiter auf sein neues „Blaues Wunder“ warten.

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