: Abschied vom Haustarifvertrag
■ VW will Teile des Unternehmens in eine „Dienstleistungs GmbH“ ausgliedern, Gewerkschaft fordert gleiche Löhne
Hannover (rtr/dpa) – Europas größter Automobilhersteller Volkswagen erwägt, Teile des Unternehmens aus Kostengründen in eine neue Gesellschaft auszugliedern. VW-Sprecher Hans-Peter Blechinger sagte, vorstellbar sei die Gründung einer Firma, die durch andere Tarife die Wettbewerbsfähigkeit gefährdeter Unternehmensbereiche stärke. Der Betriebsrat erklärte, es gebe bereits Gespräche über die Gründung einer „Dienstleistungs GmbH“. Diese wäre nicht an den Haustarifvertrag gebunden und könnte fünf Mark Stundenlohn weniger zahlen. Betriebsrat und IG Metall kündigten ihren Widerstand gegen die Pläne an.
Zugleich wurde gestern bekannt, daß VW auch eine eigene Zeitarbeitsfirma gründen und damit Lohn einsparen will. Die Firma könnte als selbständiges Unternehmen neu eingestellte Arbeitnehmer nach dem günstigeren Flächentarifvertrag der Metallbranche bezahlen, sagte IG-Metall-Bezirksleiter Jürgen Peters. Die Volkswagen AG teilte dagegen mit, das Unternehmen gebe erst zum Abschluß der zur Zeit laufenden Tarifverhandlungen Kommentierungen ab und nehme dann zu Details Stellung. Die Zeitarbeitsfirma wird vor allem für die Produktion des Passat-Modells eine Rolle spielen. Die große Nachfrage bringt den Mitarbeitern in Hannover, Emden und Kassel seit einiger Zeit Wochenarbeitszeiten von 30 oder 35 Stunden statt der vereinbarten 28,8 Stunden. Hinzu kommt der Start des neuen Golf im Herbst.
VW-Betriebsratssprecher Rolf Kellner vom Kasseler Werk bestätigte: „Die bisherige Praxis, Mehrarbeit ausschließlich mit Freizeit auszugleichen, ist nicht mehr durchzuhalten.“ Auch Peters kritisierte: „Das geht so nicht weiter, und auch die Leute am Band machen das nicht mehr mit.“
Die IG Metall verlangte statt Mehrarbeit die Einstellung von 800 bis 1.000 neuen Mitarbeitern. Jetzt willigte das Unternehmen mit der Idee einer Leiharbeitsfirma, einer Art „mobilen Einsatzkommandos“ für Produktionsspitzen, ein.
In den Niederlanden wird ein derartiges Modell bereits praktiziert. Als „Offensive gegen Mehrarbeit“ wollte die Gewerkschaft vor einiger Zeit dies auch hierzulande übernehmen und erhielt schon vom Land die Zusage, eine Gesellschaft „Zeitarbeit Niedersachsen“ finanziell zu begleiten. „Bei Gesprächen mit Unternehmen stießen wir dann aber auf schroffe Ablehnung. Lediglich VW und Preussag Stahl wollten sich dem Modell aus ihrer sozialen Verantwortung heraus nicht verschließen“, berichtete Peters, der für die IG Metall die Tarifverhandlungen mit VW führt.
Bei dem Autobauer aber befürchten die Gewerkschafter die Umgehung eigener Tarife. Sollten die „Leiharbeiter“ nach dem regulären Metalltarif bezahlt werden, stünden bei VW Mitarbeiter am Band, die gleiche Arbeit für unterschiedlichen Lohn verrichten. Peters: „An unserem eisernen Grundsatz ,Gleicher Lohn für gleiche Arbeit‘ halten wir fest.“ Er wies darauf hin, daß der bestehende Haustarifvertrag bei Volkswagen durchaus die Möglichkeit befristeter Einstellungen vorsieht. Die Sorge der Gewerkschafter: Ein mit Leiharbeitern besetztes trojanisches Pferd wäre ein Vehikel, den Haustarif von VW aufzuweichen.
In der nächsten Verhandlungsrunde am 17. April will der IG-Metall-Bezirkschef sehen, wie er „die Kuh wieder vom Eis kriegt“. Neben den Neueinstellungen wird auch eine attraktive Altersteilzeit zum Dreh- und Angelpunkt der Verhandlungen für rund 90.000 VW-Beschäftigte in sechs westdeutschen Werken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen