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Lafontaine erobert DGB-Kongreß

SPD-Chef wird auf dem Beschäftigungskongreß mit tosendem Beifall bedacht und zeigt Schäuble die kalte Schulter. IG Metall fordert Einführung der 32-Stunden-Woche  ■ Aus Berlin Annette Rogalla und Nicola Liebert

Sie selbst hatten ja auch nicht viel erwartet. Bereits zu Beginn der DGB-Konferenz: „Zukunft der Arbeit“, flüsterte ein DGB- Mitarbeiter hinter vorgehaltener Hand, es gehe darum, „die Lufthoheit in der Debatte zurückzugewinnen“. Das zumindest ist dem DGB geglückt. Seit gestern sprechen alle über die Gewerkschaften.

Den Vorschlag des IG-Metall- Chefs Klaus Zwickel, bald nur noch 32 Stunden in der Woche an vier Tagen zu arbeiten, nahmen die Teilnehmer des Kongresses hocherfreut entgegen. Zur Begründung sagte Zwickel: „Es darf keinen arbeitszeitpolitischen Stillstand geben, damit die Verkürzung der Arbeitszeit in Europa weitergehen kann.“ Den anderen Wirtschaftsbereichen schlug er vor, sich die 35-Stunden-Woche als nächstes Etappenziel vorzunehmen.

Den Widerspruch der Unternehmen konterte er damit, daß sie seit anderthalb Jahrzehnten darauf bedacht seien, eine Umverteilung von unten nach oben vorzunehmen. „Die neokonservativen Rezepte taugen keinen Schuß Pulver. Sie sind Gift für die Arbeitsplätze.“ Allerdings gestand er ein, daß die reformpolitischen Alternativen der Gewerkschaften „nicht zugkräftig genug“ seien.

Die Schlußpassage des Zwickel- Referats griff wenig später Oskar Lafontaine in der Podiumsdiskussion, rhetorisch geschickt, auf. „Der Begriff der Modernität ist verkommen in diesem Land“, wetterte der SPD-Bundesvorsitzende. Modern sei heute alles, was sich unter Lohn- und Sozialabbau subsumieren lasse. Selbst Teile der kritischen Linken scheuten sich nicht, so zu reden. „Wir sind verkommen“, meinte Lafontaine. Die Zuhörer quittierten die starken Sprüche mit tosendem Beifall. Heute sei ein großer Tag für ihn, so Lafontaine. „Denn Zwickel hat das 32-Stunden-Programm aufgelegt.“ Dafür dürften sich die Gewerkschaften der Unterstützung der SPD gewiß sein.

Mit vollem körperlichen Einsatz agierte Lafontaine. Er hob beide Hände, als schöpfe er aus dem Vollen, schwenkte über den halben Tisch, so, als wolle er jeden einzelnen der rund 500 Teilnehmer auf das Podium hieven, damit sie geistig Aufstellung nähmen vor Wolfgang Schäuble, der als Vorsitzender der Unionsfraktion geladen war. Die Reaktionen des Saales trafen ihn unerwartet. Er habe die Rede Zwickels leider nicht hören können, sei bereits um sechs in der Früh aufgestanden, um nach Berlin zu reisen, überspielte er seine Sprachlosigkeit. „Was uns aber auszugehen droht“, warf er zaghaft ein, „ist die Arbeit in Deutschland zu regulären Preisen.“ Den sichtlich irritierten Schäuble ließ Lafontaine kühl abblitzen. Keinen Blick schenkte er ihm, strich statt dessen mit zusammengekniffenen Augen in einem Manuskript herum.

SPD und Gewerkschaften waren sich einig: nicht nur in ihrem Kampf gegen den Sozialabbau, sondern auch für die Europäische Währungsunion. Die Arbeitslosigkeit, da stimmten alle Redner überein, kann nicht mehr auf nationalstaatlicher Ebene bekämpft werden. Schon gar nicht in einem Land wie der Bundesrepublik, deren Wirtschaft und damit Beschäftigung so stark vom Außenhandel abhängig sei. „Die Europäische Währungsunion bringt mehr Chancen als Risiken“, betonten fast wortgleich IG-Metall-Chef Zwickel und der Vorsitzende der Gewerkschaft Textil und Bekleidung, Willi Arens. Lafontaine griff auch diese Vorgabe auf: Die Währungsunion sei in der Tat „eine beschäftigungsfördernde Entscheidung“.

Doch das Bekenntnis zum Euro geriet zum mitunter etwas halbherzigen Ja. Ja zu mehr Transparenz um Einkommen, Arbeitskosten und Unternehmergewinne. Ja zur politischen Integration Europas, zu der die Währungsunion ein wesentlicher Schritt sei. Ja, weil dadurch dem weltweiten Casinokapitalismus der humanistische europäische Gedanke entgegengestellt werde. Aber die Gewerkschaften machten ihre Zustimmung zur Währungsunion „weiterhin davon abhängig, wie diese ausgestaltet und umgesetzt wird“, so DGB- Chef Dieter Schulte.

Zwickel forderte ein Junktim zwischen der Einführung des Euro und einem europäischen Beschäftigungsprogramm. Er verwies auf den Wortlaut des Maastricht-Vertrages: „Aufgabe der Gemeinschaft ist es, ein hohes Beschäftigungsniveau, ein hohes Maß an sozialem Schutz zu fördern.“

Schäuble, den Mund stets von gefalteten Händen verdeckt, betonte immer wieder, daß durch ein Abrücken von den Stabilitätskriterien die Angst der Bürger vor dem Verlust der harten Mark wachsen könnte. Klaus Haensch, ehemaliger Präsident des Europaparlaments, hielt süffisant dagegen: Wenn die Bundesregierung glaube, daß nur durch die Begrenzung der Neuverschuldung auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Euro stabil werden könne – dann müsse eigentlich die Mark schon jetzt eine weiche Währung sein.

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