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Raus aus der Braunkohle, rein in die Energiewende

■ In Cottbus tagten Bündnisgrüne und SPD. Die einen wollen Jobs durch eine neue Energiepolitik. Die anderen wollen mehr Investitionsförderung für Ostdeutschland

Cottbus (taz/dpa) – In Cottbus tagten SPD und Bündnisgrüne am Sonnabend getrennt zum fast gleichen Thema: Wieder einmal ging es um Arbeitsplätze, um Energie und natürlich um die Braunkohle. Wie unterschiedlich die angepeilten Lösungen sind, zeigten die Reaktionen der jeweiligen Gegenseite: Vor der Messehalle, wo Manfred Stolpe und Oskar Lafontaine auftraten, protestierten Tagebaugegner gegen die Opferung der brandenburgischen Ortschaft Horno für die Braunkohle. Vor dem Tagungsort der bündnisgrünen Fraktion dagegen demonstrierten die Kohlekumpel für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze.

Plötzlich stehen der einstigen Protestpartei selbst Demonstranten gegenüber, eine Wertschätzung, die sie doch etwas überrascht. Dabei sieht sich der parlamentarische Geschäftsführer der grünen Bundestagsfraktion, Werner Schulz, gerade im Falle der Braunkohletagebaue für die Bürgerrechte kämpfen. Für ihn sind Horno und das ebenfalls von den Baggern bedrohte sächsische Heuersdorf keine Hemmnisse der Wirtschaftsentwicklung, sondern vielmehr „Wendepunkte“, die er zum „Einstieg in die Energiewende“ nutzen will.

Mehrfach betonte Schulz, daß es bei der Diskussion um die „Zukunft der Braunkohleförderung in Deutschland“ keinesfalls um die „Verteufelung der Braunkohle“ gehe, „sondern darum, aus dem Teufelskreis herauszufinden“. 170.000 Arbeitsplätze, die durch die Kohle ohnehin nicht abgedeckt werden können, fehlen in der Lausitz. Der Einstieg in die Energiewende, so die Hoffnung der Bündnisgrünen, belebe mit Sicherheit den Arbeitsmarkt.

Die bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete und Energieexpertin Michaele Hustedt etwa sieht zahlreiche Arbeitsplätze in einem alternativen Energiesektor. Im Vergleich zur Kohleverstromung würde bei der Installierung von Windturbinen bis zu fünfmal mehr menschliche Arbeit pro Kilowattstunde gebraucht – Arbeitsplätze, die auch in der Lausitz eingerichtet werden könnten. Die Region könne dabei von einem entscheidenden Standortvorteil zehren: dem hier konzentrierten Humankapital für die Energiewende.

Allerdings werde das Umsteuern durch die Strategie der Landesregierung eher behindert. Sie setzt auf Strukturveränderung bei gleichzeitiger Braunkohleförderung. Energiesparstrategien und Kohleverstromung schließen einander jedoch nach Auffassung der Bündnisgrünen aus. Es komme nicht zum notwendigen Umdenken, nicht zum notwendigen Innovationsschub, wenn die Energiestruktur unangetastet bleibe.

Die SPD setzte in Cottbus ihrerseits auf eine neue Wirtschafts- und Innovationspolitik für die neuen Bundesländer. Auf ihrem 3. Forum Ostdeutschland wollten die Sozialdemokraten Wege aufzeigen, wie Innovationen für den Aufbau Ost genutzt werden können. Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung sei in jedem Fall, die Finanztransfers von West nach Ost über 1998 bis ins nächste Jahrtausend im bisherigen Umfang fortzusetzen. „Die Entscheidung darüber muß jetzt fallen“, forderte SPD-Chef Oskar Lafontaine.

Dafür müßten mit einer Steuer- und Abgabenreform die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Das sei wichtiger als Versprechungen von Steuersenkungen, an die keiner mehr glaube, schimpfte Lafontaine. Die Bundesregierung habe zu lange auf Großinvestoren aus den alten Bundesländern gesetzt. Statt dessen müsse jetzt eine Förderung der Forschung und Entwicklung gerade in ostdeutschen Klein- und Mittelbetrieben her.

Der brandenburgische Ministerpräsident und Vorsitzende des SPD-Forums Ost, Manfred Stolpe, forderte, die deutsche Industriepolitik stärker in Richtung auf eine Technologiepolitik auszurichten. „Die Größe der Aufgabe macht ein Innovationsprogramm Deutsche Einheit erforderlich“, sagte Stolpe. Klaus Muche

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