: "Sesselpupsen ist angesagt!"
■ "Schöne schwule Welt" in Aufruhr: Der "Stern"-Autor Werner Hinzpeter verkündet in seinem Buch das Ende der Schwulenbewegung. Interessenverbände fühlen sich düpiert
Gerade beginnt die schwule Gemeinde, den 100. Geburtstag der Schwulenbewegung zu begehen, da wird sie für beendet erklärt. Ein Jahrhundert nach Magnus Hirschfeld ist die schwule Welt in Deutschland – mit Ausnahme von Kirche und Bundeswehr – in bester Ordnung. So sieht es zumindest der schwule Stern-Redakteur Werner Hinzpeter. Als Nachfolgerin der Bewegung ruft er die „Schwule Freizeitgesellschaft“ aus.
Weil ihn die „Wehleidigkeit vieler Schwulenvertreter genervt hat“, beschloß der 31jährige, eine Polemik zu verfassen. Es wurde ein Buch daraus, dessen Titel der Autor nun ironiefrei führt: „Schöne schwule Welt“. Bereits im Vorwort macht Hinzpeter die „Köpfe der sogenannten Schwulenbewegung“ als „Verursacher des weitverbreiteten Bildes vom leidenden Schwulen“ dingfest und erklärt, daß schon heute „andere Dinge wichtiger sind als schwule Emanzipation“. Hinzpeter nennt sein Buch ein „Plädoyer für schwulenpolitische Sesselfurzer“.
Nun stellte er sich auf Einladung des Buchladens Prinz Eisenherz im altehrwürdigen Berliner Schwulenzentrum Vertretern des Schwulenverbandes in Deutschland (SVD) und des schwulen Infoladens Mann-O-Meter. Selbstverständlich zeigten sich die Düpierten ordnungsgemäß erbost und nahmen die Aufforderung zur polemischen Auseinandersetzung an. Die Debatte in Auszügen: Bodo Mende (SVD): „So eine Beschönigung der bestehenden Verhältnisse habe ich selten gelesen.“ – Hinzpeter: „Ich glaube, für Schwule ist es wirklich sehr schön geworden. Es gibt 'ne ganze Menge Leute, denen nichts mehr einfällt, was sie schwulenpolitisch noch fordern könnten.“ – Mende (erregt): „Ich sehe die Brüchigkeit der Verhältnisse – bei dir gibt's nur die schöne schwule Welt. Du sagst: Lehnt euch zurück! Sesselpupsen ist angesagt! – Wir als SVD haben gesellschaftlichen Gestaltungswillen!“ – Zwischenruf Hinzpeter: „Wer bis zum 10. April Mitglied bei euch geworden ist, konnte dafür eine Reise nach Mykonos gewinnen!“ – Moderator: „Gegen Mykonos ist erst mal nichts einzuwenden.“
Nur gut, daß sich die etwa einhundert Zuhörer an Inhalten interessiert zeigten. Denn argumentfrei ist Hinzpeters Buch dann doch nicht. Recht und Medien seien heute liberalisiert, meinte der „Nestbeschmutzer“. Die Interessenverbände täten gut daran, „offener und ehrlicher zu zeigen, wie schön die schwule Welt inzwischen geworden ist“, um verängstigten Schwulen den Weg aus dem Doppelleben zu erleichtern. Gegen verbleibende Diskriminierungen ließe sich heute trefflich vor Gericht streiten.
Unter der Überschrift „Die Lobbyistenfalle“ gibt Hinzpeter in seinem Buch ein Beispiel dafür, wie Interessenverbände „absurd übertriebene“ Behauptungen als Tatsachen verkaufen. Bei einer Studie über „Lesben und Schwule in der Arbeitswelt“ aus dem Jahr 1995 sollten die Befragten angeben, ob sie sich am Arbeitsplatz diskriminiert fühlen. 80,9 Prozent derjenigen, die den Fragebogen freiwillig einsandten, bejahten dies. „80,9 Prozent der befragten Lesben und Schwulen wurden und werden am Arbeitsplatz wegen ihrer Homosexualität diskriminiert“, schlossen schon die WissenschaftlerInnen etwas großzügig. Die Schwusos erklärten daraufhin: „80,9 Prozent der Lesben und Schwulen werden am Arbeitsplatz diskriminiert.“
Kritik aus dem Publikum erntete Hinzpeter vor allem für seine „Beschönigung“ der Verhältnisse. Sein Buch sei außerdem eine hervorragende Argumentationshilfe für Politiker, die schwulen Projekten den Geldhahn zudrehen wollen. Die „Schöne schwule Welt“ ende spätestens am Stadtrand der Metropolen, erklärte ein Besucher. Oder in Hinzpeters Heimatredaktion: Der Stern berichtet nach wie vor gelegentlich über Homogene, die kleine Jungen mit Puppen spielen lassen. Holger Wicht
Werner Hinzpeter:
„Schöne schwule Welt“.
Quer-Verlag, 24,80 DM
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