piwik no script img

Föderationsrat verschiebt Beutekunst-Abstimmung

■ Russisches Oberhaus beschloß schriftliche Abstimmung, damit sich auch gestern abwesende Abgeordnete äußern können. Ergebnis soll im Mai feststehen

Berlin (taz) – Während Boris Jelzin gestern in Baden-Baden eintraf, entschied der Föderationsrat in seiner Heimat, daß die endgültige Entscheidung über die sogenannte Beutekunst erst auf der nächsten Sitzung, etwa Mitte Mai, fällt. Eine Abstimmung war für gestern nachmittag vorgesehen, aber offensichtlich fehlten zu viele Abgeordnete. Das russische Oberhaus beschloß deshalb, daß allen Abgeordneten ein Stimmzettel mit der Gesetzesvorlage zugeschickt werden soll, den sie dann zurückschicken müssen. Das Resulat der Abstimmung soll dann auf der nächsten Sitzung des Föderationsrats, vermutlich im Mai, bekannt gegeben werden. Die Sitzung gestern war von allen mit Spannung erwartet worden. Denn das Parlament, die von Nationalisten und Kommunisten dominierte Duma, hatte im Februar mit einer klaren Mehrheit beschlossen, alle nach dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland in die Sowjetunion verbrachten Kulturgüter zum russischen Eigentum zu erklären. Dagegen hatte Jelzin sein Veto eingelegt, daß aber mit einer Zweidrittelmehrheit im Föderationsrat überstimmt werden kann. Sollte das jetzt im Mai passieren, kann nur noch das Verfassungsgericht das Inkrafttreten des Gesetzes stoppen.

Für Jelzin ergäbe sich dadurch eine schwierige außenpolitische Situation, da er um die Bedeutung der Beutekunst für die deutsch- russische Beziehung weiß. Deutschland wünscht grundsätzlich die Rückgabe der 200.000 Kunstobjekte, zwei Millionen Bücher und des Archivguts von drei Kilometern Länge. Die Haltung Jelzins, der offiziell in Sachen Beutekunst konform mit der Bundesregierung ist, ist kaum verwunderlich, da er auf die Kredite der westlichen Länder angewiesen ist. Nach Angaben der russischen Zeitung Nesawissimaja Gaseta plant er, die Objekte per Geheimerlaß, an der Legislative vorbei, nach Deutschland zurückzuführen. Es sei geplant, die Beutekunst unter Umgehung der russischen Zollkommission und Ausführungsgesetze mit Militärflugzeugen direkt nach Deutschland zu fliegen. Diese Vermutung dementierte Regierungssprecher Schabdurassulow und erklärte, daß solch eine Anweisung nicht existiere: „Es gibt und wird keine Geheimnisse geben.“ Jelzin kündigte im Vorfeld seines dreitägigen Deutschlandaufenthaltes an, einige Kunstgegenstände mitzubringen. Spekulationen zufolge handelt es sich dabei unter anderem um die äußerst wertvolle Gutenberg-Bibel. Kristian Berg/Michael Grimme

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen