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CDU bläst zum Feldzug gegen das Kreuzdorf

■ Vorwurf von rechts: Wagenburgler machen Holiday auf Kosten der Steuerzahler. Reaktion von links: Alternative Lebensformen müssen toleriert werden

Am Nachmittag hatte sich Michael Schill auf den Weg gemacht, um „einen aktuellen Eindruck“ von der Situation zu bekommen. Was er zu sehen bekam im Kreuzberger Bethanienkomplex nahe der Thomas-Kirche, habe seine Meinung über die Wagenburg bestätigt. „Müll und Abfall liegen auf öffentlichen Anlagen. Man macht dort Holiday, und zwar auf Kosten öffentlicher Gelder, nämlich auf die des Steuerzahlers. Und wer sich mit den Anwohnern unterhält, muß feststellen, daß keiner diese vom Bezirksbürgermeister bisher akzeptierte Situation nachvollziehen kann.“

Nur wenig später an diesem Tag hielt der CDU-Abgeordnete Michael Schill, 23, in der Kreuzberger Bezirksverordnetenversammlung (BVV) eine Rede. „Die CDU- Fraktion will eines: die Räumung und nicht die Duldung. Wir wollen keinen Vertragsabschluß.“ Er schilderte seine „aktuellen Eindrücke“ vom Nachmittag – „man hat teilweise Angst, dort spazierenzugehen“ – und fuhr dann fort mit der Feststellung: „Jeder, der heutzutage falsch parkt, wird mit einem Bußgeld belangt“, aber „jeder, der in Kreuzberg illegal eine Wagenburg errichtet und damit das Wohnumfeld der Anwohner verschlechtert, wird in diesem Bezirk hofiert.“

Michael Schill hatte alles gesagt zum Thema Wagenburg im Bethanienkomplex. Nur noch dies war anzufügen: Das Bezirksamt müsse die notwendigen Voraussetzungen für eine polizeiliche Räumung schaffen, „so wie es auch in Mitte getan wurde“. Ende März hatten Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) und das Bezirksamt Mitte die benachbarte Wagenburg am Bethaniendamm räumen lassen. Die Begründung: „Müllprobleme sowie die Gefahr der Verunreinigung des Bodens durch Öl wie auch die Belästigung durch Lärm können nicht länger hingenommen werden.“ Binnen weniger Stunden war das Aus für die 30 Wagenburgler und die 30 Wagen besiegelt.

Es war am Mittwoch Sache der Kreuzberger BVV, über den Antrag von Schills CDU-Fraktion zu befinden. Mehrheitlich, mit den Stimmen von Bündnisgrünen und SPD, wurde das Begehren abgelehnt; andere Lebensformen müßten toleriert werden, sagte Bezirksbürgermeister Franz Schulz (B90/Grüne), und Logo Lard vom Verein Kreuzdorf e.V. hofft, daß das Thema erst einmal vom Tisch ist. „Ich sehe für die nächsten zwei, drei Monate keine direkte Gefahr für das Kreuzdorf.“ Nur, wer weiß, was Schönbohm denkt...

Kreuzbergs Sozialstadträtin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) sieht keine Notwendigkeit, die Existenz der 12 Jahre alten Wagenburg im Bethanienkomplex in Frage zu stellen – „weder aus ordnungspolitischen, sozialen noch gesundheitlichen Gründen“. Die Entscheidung der Menschen, in einer Wagenburg leben zu wollen, müsse akzeptiert werden. Die Frage sei vielmehr, wie das ganze Gelände zukünftig genutzt werden soll. Dazu bedürfe es eines Konzepts, das die Wagenburg als Lebensraum integriere und beispielsweise auch das Projekt Rauchhaus einbeziehe. Jens Rübsam

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