Wenn die Haut erblüht

■ Husten, Schnupfen und Heiserkeit sind nicht allein Symptome einer Erkältung. Manchen Schadstoffen in der Zimmerluft kommt man nur sehr schwer auf die Spur

Die neue Wohnung ist ideal: verkehrsgünstig liegt sie, hat genau die richtige Größe und zudem gibt es einen grandiosen Blick auf den Park. „Die nahm ich sofort“, erinnert sich Jutta Deik, nicht ahnend, daß sie heute, kaum fünf Monate danach, lieber früher als später wieder auszöge. Die Hausverwaltung ließ noch in einem der Zimmer den Fußboden verkleben. Nachdem die Wände frisch tapeziert und Teppichböden verlegt waren, konnte die Frau schließlich einziehen.

Doch alsbald kam das im Wortsinn böse Erwachen: „Ich schlief unruhig. Und mein Magen rebellierte.“ Wenige Tage später ging es ihr richtig schlecht. In Küche und Wohnzimmer konnte sie sich kaum noch aufhalten. „Eine halbe Stunde reichte, und ich bekam nicht mehr richtig Luft.“ Mund- und Nasenschleimhäute brannten.

Die Ursache der Beschwerden war unerklärlich. Also bat die Gepeinigte den Fachmann eines Umweltlabors um Rat. Dessen Eindruck: Es liege bestimmt an der Auslegware. Kosten dieser groben Analyse: 165 Mark. Doch würden erst detaillierte Messungen genaue Antworten geben, worauf indes die Mieterin verzichten mußte: Den Preis von 500 Mark konnte sie nicht aufbringen.

Nächste Etappe: das Gesundheitsamt. Wiederum analysierte man die Auslegware als Störfaktor, in einem anderen Zimmer allerdings auch den Klebstoff, mit dem die Hausverwaltung den Fußbodenbelag befestigt hatte. Für weitere Messungen indes fehlte auch dem Amt das Geld. „Hohe Konsistenz aliphatischer Verbindungen“, lautete immerhin das vorläufige amtliche Ergebnis, was allein schon giftig genug klingt.

Also nahm die Mieterin die offenbar kritische Auslegware aus den Räumen. Sechs Wochen danach hatte sie im Wohnzimmer zwar immerhin keine Atemnot mehr, „aber der Geruch ist immer noch da“. Mangels eingehender Ursachenforschung – alles eine Frage des Preises – ist bis heute nicht geklärt, welche Schadstoffe in welchen Konzentrationen die Gesundheit der Mieterin beeinträchtigt haben.

Jutta Deik ist kein Einzelfall. Denn wem beim Anblick seines neuen Parketts die Tränen kommen oder wer seine Wohnung – kaum renoviert – schon nicht mehr riechen kann, findet im Nachhinein häufig nur eine Erklärung: Die Materialien – unachtsam gekauft und großzügig verwendet – trüben den Blick und reizen die Lungen. Manches Ding aus Bau- und Möbelmarkt enthält Zutaten aus der chemischen Küche, mittels derer es schlechterdings erst wird, was es ist: Spanplatte, Holzschutzmittel, Lack, Bodenbelag, Tapete, Wandfarbe, Klebstoff. Nur etwa 1.300 der rund 65.000 im Handel vorkommenden Chemikalien seien hinsichtlich ihrer gesundheitlichen Wirkung untersucht. „Der Rest ist Schweigen“, warnen die Autoren des Buches „Wohnen ohne Gift“, und fragen: „Der Putzschrank, der Hobbyraum – eine Alchimistenküche?“

Diese Frage ist eher eine rhetorische. „Wenn es für die Zimmerluft verbindliche Schadstoff-Grenzwerte wie für Arbeitsplätze gäbe, müßten zehn Prozent der Wohnungen in der Bundesrepublik evakuiert werden“, weiß ein Hygieniker der Technischen Universität Berlin. „Millionen Menschen bekämen Hausverbot in der eigenen Wohnung.“

Zwar lassen uns neue Baustoffe und Möbel schöner und bequemer wohnen, doch auch die Haut eines manchen erblühen. In Hamburg weiß man davon ein Lied zu singen. Jede zweite Frage an die Umweltberater der hanseatischen Verbraucherzentrale gelte „Wohngiften“, Stoffen also, die – nicht wissenschaftlich definiert – als Gas, Fasern oder Staub auftreten und die man häufig weder sieht, schmeckt, noch riecht: von Formaldehyd in Möbeln über Holzschutzmittel und Schimmelpilze bis hin zu Elektrosmog.

Doch die Quellen des Übels lassen sich gar nicht so einfach finden. Denn für die spürbaren Folgen der Wohngifte gibt es in den medizinischen Lehrbüchern kein klar definiertes Krankheitsbild. „Viele Patienten kommen erst nach einem langen Leidensweg darauf, daß ihre Krankheitssymptome möglicherweise auf Schadstoffe in der eigenen Wohnung zurückzuführen sind“, heißt es bei der Berliner Einrichtung „Beratung und Analyse – Verein für Umweltchemie“ (B.A.U.C.H.). Die Symptome können „sehr unspezifisch sein“ und reichen von Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen, Übelkeit bis zu Ausschlägen und mehr. Die Fachleute raten, zunächst mit dem Arzt andere mögliche Krankheitsursachen auszuschließen. Auch solle man beobachten, ob die Symptome außerhalb der Wohnung abklingen sowie überlegen, ob das Auftreten der Krankheit mit einem Umzug, mit Renovierungen oder dem Kauf neuer Möbel zeitlich zusammenfällt. Liegt ein Zusammenhang nahe, lassen sich die Techniker nach einem kostenlosen telefonischen Vorgespräch mit einer Wohnungsbegehung beauftragen. Dabei werden der Zustand, die Ausstattung, das Wohnumfeld sowie die gesundheitlichen Beschwerden in einem Fragebogen aufgenommen, den die B.A.U.C.H.ler zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung und Umweltmedizinern entwickelt haben. Die Schadstoffmessungen könnten dann schon bei der Begehung oder aber zu einem späteren Termin erfolgen. Dieser Aufwand ist indes nicht ganz billig und kann je nach Umfang der Untersuchungen mehrere hundert Mark kosten. Darunter fallen Probennahme, Analyse, Untersuchungsbericht, Bewertung der Ergebnisse und Beratung, Fahrtkosten sowie auf Wunsch die Erarbeitung eines Sanierungskonzeptes.

Die Verbraucherzentrale Hamburg beispielsweise empfiehlt, sich unbedingt vor der Vergabe eines solchen Auftrages an ein Umweltlabor darüber zu informieren, unter welchen Voraussetzungen die Krankenkasse zumindest einen Teil der Kosten übernimmt. Auch sollte man klären, wie detailliert das Ergebnis der Analyse beschrieben wird. Denn Laien können gemeinhin mit Untersuchungsergebnissen, die nicht bewertet sind, wenig anfangen.

Diesen ganzen Aufwand möchte sich Jutta Deik allerdings nicht mehr zumuten. Sie denkt heute trotz der für sie idealen Wohnung nur noch an eines: „Ich will hier wieder raus.“ Andreas Lohse

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