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„An der Zurechnungsfähigkeit zweifeln“

■ Wolfgang Heidelberg, Verfassungsschutzchef in Sachsen-Anhalt, über die Neonazi-Tat

taz: Herr Heidelberg, die „Bild“-Zeitung deutet an, die beiden Toten der Kameradschaft Wittenberg seien V-Männer gewesen. Haben Sie für Ihr Amt gearbeitet?

Wolfgang Heidelberg:Das kann ich eindeutig dementieren. Für unsere Landesbehörde waren sie nicht tätig.

Waren Ihnen die beiden Opfer denn bekannt?

Chris D., einer der beiden Getöteten, war der letzte Chef der Kameradschaft Wittenberg. Wir beobachten die seit 1991 unter wechselnden Namen bestehende Kameradschaft als einen rechtsextremistischen Schwerpunkt in Sachsen-Anhalt. Zur Zeit gehören ihr etwa 80 Anhänger an, der Kern besteht aus rund 25. Im letzten Jahr hat die Gruppe rund 30 Sympathisanten hinzugewonnen.

Zeichnet sich die Kameradschaft Wittenberg durch besondere Brutalität aus? Eines der Opfer soll Türsteher eines Bordells gewesen sein.

Daß einer der Männer Türsteher war, kann ich nicht bestätigen. Es ist aber durchaus üblich, daß es in solchen Gruppierungen Rausschmeißer oder Türsteher gibt – schließlich sorgen die ja für Recht und Ordnung. Gewalttaten finden in diesem Bereich regelmäßig statt. Die intellektuelle Vorarbeit aber, so unser Eindruck, wird mehr von Frank Schwerdt geleistet, dem in Berlin wohnenden Chef der „Nationalen“. In Wittenberg und der Umgebung führt die Kameradschaft einen permanenten Kleinkrieg tätlicher und verbaler Art gegen den in Wittenberg ansässigen linken Treffpunkt „Schweizer Garten“. Mindestens zweimal hat die Kameradschaft Flugblätter, die sich gegen die Linken richteten, an die Haushalte in Wittenberg verteilt. Wir gehen davon aus, daß diese Flugblätter von Herrn Schwerdt finanziert wurden.

Ist die Kameradschaft Wittenberg nur von lokaler Bedeutung?

Sie sind bei allen mehr oder weniger großen Veranstaltungen der rechten Szene dabei – etwa beim Aufmarsch gegen die Wehrmachtsausstellung in München.

Trügt der Eindruck, daß die Kämpfe innerhalb rechter Gruppen härter werden?

Wenn es zutrifft, daß der Anlaß des Streits ein Fußballspiel gewesen sein soll, muß man an der Zurechnungsfähigkeit der Akteure zweifeln. Von einer gesteuerten Tat – etwa ein Richtungskampf zwischen der Kameradschaft Treptow, aus der ja die Täter stammen, und der Wittenberger Kameradschaft – kann man wohl nicht sprechen. Alles deutet auf eine spontane Tat hin. Wir haben bislang auch keine Anhaltspunkte dafür, daß es zwischen beiden Kameradschaften überhaupt nennenswerte Berührungspunkte gegeben hat. Interview: Severin Weiland

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