„Es kommt auf das Maß der Schuld an“

■ Polizist hatte mit Frau Oral-Verkehr auf der Wache – kehrt er trotzdem zurück in den Dienst?

Der Kripobeamte Reiner W., der beschuldigt wird, eine Frau auf der Wache in Vegesack zum Oral-Verkehr gezwungen zu haben, hat gute Chancen, wieder in den Polizeidienst zurückzukehren (siehe taz 24.9.96). Die Staatsanwaltschaft hat die Anklage gegen den Polizisten zurückgezogen und will die Angelegenheit jetzt mit einem Strafbefehl und einer Geldstrafe erledigen. Das hat Jan Frischmuth, Chef der Bremer Staatsanwaltschaft, gestern auf Nachfrage der taz bestätigt. Die Höhe der Geldstrafe stünde noch nicht fest, so Frischmuth. „Ich halte die Erledigung dieses Falles mit einem Strafbefehl allerdings für vertretbar“.

Im Juni des vergangenen Jahres wurde Patricia K. (Name geändert) wegen Zechprellerei auf der Wache von dem Kripobeamten Reiner W. erkennnungsdienstlich behandelt. Kurz darauf zeigte sie ihn an, weil er sie zum Oral-Verkehr gezwungen habe. Reiner W. leugnete nicht: Die Frau habe ihm allerdings die Hose runtergerissen und ihn mit dem Mund befriedigt. Vor lauter Überraschung habe er sich nicht gewehrt. Diese Version glaubte Staatsanwältin Friedrichsen ihm und stellte das Verfahren ein. Die Generalstaatsanwaltschaft hob die Entscheidung wieder auf. Der Polizist wurde vom Dienst suspendiert.

Jetzt soll gegen ihn wegen sexuellen Mißbrauchs von Gefangenen und behördlich Verwahrten (§174a StGB) eine Geldstrafe verhängt werden. Das ist durchaus im Sinne des Gesetzes: Der sexuelle Mißbrauch nach § 174a wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe bestraft. Für den Beamten hat der Strafbefehl zwei entscheidende Vorteile: Er kommt um die peinliche Hauptverhandlung herum. Außerdem ebnet ihm der Strafbefehl, der die gleiche Wirkung hat wie ein Urteil, den Weg zurück in den Polizeidienst. Mit einem Strafbefehl darf höchstens eine Freiheitsstrafe von zwölf Monaten auf Bewährung verhängt werden. Beamte werden aber erst aus dem Staatsdienst entlassen, wenn sie zu einer Freiheitsstrafe von über zwölf Monaten verurteilt werden. Wird ein Beamter zu einer geringeren Strafe verurteilt, wird die Entlassung zur Ermessensfrage im Disziplinarverfahren.

Doch auch wenn das Diszipli-narverfahren vom Strafverfahren unabhängig ist, wird es schwierig sein, Reiner W. zu entlassen. Das Disziplinarverfahren hat sich nämlich nach dem Tathergang zu richten, der im Strafverfahren festgestellt wurde. Mit anderen Worten: Wenn die Staatsanwaltschaft annimmt, die Frau habe den Polizisten provoziert, hat das Diszipli-narverfahren genau diesen Tathergang zu bewerten. Um das geringe Strafmaß der Geldstrafe begründen zu können, wird die Staatsanwaltschaft das Maß der Schuld niedriger einschätzen und einen minder schweren Fall annehmen. Die Hauptverhandlung, in der durch die Vernehmung der Zeugin, ein anderer Tathergang rekonstruiert werden könnte, fällt aus.

Jetzt fehlt nur noch die Zustimmung des Richters – dann steht dem Strafbefehl nichts mehr im Wege. „Reine Formsache“, heißt es aus Justizkreisen. „Das ist so gut wie abgemacht.“Auch das Justizressort wisse Bescheid. Die Frage, ob er sich vorstellen könnte, Reiner W. wieder als Polizisten zu sehen, will der stellvertretende Polizeichef Eckhard Mordhorst „nicht so ad hoc“beantworten. „Was er gemacht hat, ist verwerflich. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Aber es kommt auch auf das Maß der Schuld an.“ kes