: Vorsicht bei Papstwitzen
In Brandenburg drücken deutsche und polnische Schüler gemeinsam die Schulbank. Doch die Annäherung im grenzübergreifenden Modellprojekt gelingt nicht immer ■ Aus Neuzelle Bettina Waffek
„Die Nazis haben hier ihren Führungsnachwuchs ausgebildet“, erzählt Politiklehrerin Sabine Brünig. In der Nazikaderschmiede von einst drücken heute deutsche und polnische Schüler gemeinsam die Schulbank. Neuzelle gehört zu einem der fünf Orte entlang der deutsch-polnischen Grenze, an denen polnische Gymnasiasten das deutsche Abitur machen können. Das ist bundesweit einmalig. Eine Million Mark läßt sich das Land das grenzübergreifende Modellprojekt kosten, das jetzt in sein fünftes Jahr geht. Das erklärte Ziel laut Broschüre des Ministeriums: die Förderung der Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern.
Die Idee stammt von zwei Polnischlehrerinnen aus Frankfurt (Oder). Nach der Wende ging es mit dem Interesse am Nachbarland und seiner Sprache rapide bergab. Hannelore Heinemann und Regina Sidorowa wandten sich ans Ministerium und fanden offene Türen. Zwischen 300 und 500 Bewerbungen gibt es jährlich. Für die polnischen Schüler ist das deutsche Abitur die einzige Möglichkeit, im europäischen Ausland zu studieren. Eine polnische Kommission wählt die Schüler aus. Insgesamt hundert pro Jahr. Sie müssen sehr gut Deutsch sprechen und sehr gut in der Schule sein. Deshalb schaffen vor allem Mädchen die Aufnahmeprüfung. Sie sind schlicht besser.
Jutta Tiemann vom Bildungsministerium sieht das nicht so gerne. Sie wünscht sich eine ausgewogene soziale Mischung, zumindest bei den Geschlechtern. Bei einem Austausch von Haupt- und Realschülern übt man sich ohnehin in Zurückhaltung. Und bei den polnischen Bewerbern, so der Frankfurter Stadtschulrat Hans Dieter Wachner, sei die Oberschicht überproportional vertreten. 16 bis 20 Schüler pro Jahrgang scheitern an den enormen Belastungen, die die Ausbildung mit sich bringt.
Alle hatten sich eine zweisprachige Klassengemeinschaft erhofft. Schnell kam die Ernüchterung. „Es ist ja Quatsch, davon auszugehen, daß wir uns gleich in die Arme fallen“, sagt die 18jährige Schülerin Andrea. „Es gab Hochs und Tiefs. Im Moment sind die Deutschen mit den Deutschen zusammen und die Polen mit den Polen.“ Ein Grund sei der Leistungsdruck in der Oberstufe. Da bleibe immer weniger Zeit für gemeinsame Unternehmungen. Der Konkurrenzkampf und der Neid, sagen die Schüler, vergiften das Klima untereinander.
Neid kommt auf, wenn die Polen die besseren Zensuren haben. Oder wenn sie einmal im Monat vom Ministerium mit einem Ta- schengeld von 25 Mark bedacht werden. Neid spielt eine Rolle, wenn die deutsch-polnischen Projekte — vom Ministerium unterstützt — auf Klassenfahrt gehen. „Für die Polen wird der rote Teppich ausgerollt, während wir in Arbeitslosigkeit versinken“ – ein Spruch, den Andrea schon oft gehört hat. „Ein Irrglaube“, sagt sie, „die machen sich alle ein falsches Bild.“
Ein paar Sätze später sitzt sie auch einem falschen Bild auf: „Mich ärgert, daß die Polen sich so selten im Unterricht melden.“ „Da will ich dich mal sehen“, kontert ihre Mitschülerin Dana. „Das Fachchinesisch in Chemie kann man ja nicht mal in der eigenen Sprache verstehen.“ Die polnischen Schüler müssen zusätzlich zum 34-Wochenstunden-Pensum polnische Literatur und polnische Geschichte büffeln, damit ihr Abitur auch in Polen anerkannt wird. „Wir helfen uns aber auch gegenseitig“, wirft Martin ein. Er findet, daß die polnischen Mitschüler spaßig sind. „Damals bei der Klassenfahrt...“, Martin gerät ins Kichern, erzählt von Kinobesuchen in Slubice und Witzeerzählen am Helenesee. „Nur bei den Papstwitzen“, bemerkt er schelmisch, „ist Vorsicht geboten.“
Auch die polnischen Schülerinnen Monika und Marta erinnern sich an ausgelassene Stunden mit den Deutschen. Aber auch an weniger schöne Begebenheiten. „Es gibt ein paar Freundschaften, doch die meisten verhalten sich uns gegenüber gleichgültig. Und dann sind in jeder Klasse vier bis fünf Schüler, die keine Polen mögen. Wenn wir uns im Unterricht nicht trauen, den Mund aufzumachen, dann, weil sie lachen. Es ist ein böses Lachen.“ Marta ist auf dem Schulweg schon ein paar Mal von Deutschen mit Steinen beworfen worden. Nicht von Schülern des Neuzeller Gymnasiums, die würden so etwas nicht machen, obwohl, sie stutzt, hin und wieder bekomme sie auch hier polenfeindliche Äußerungen zu hören.
Die Lehrer, finden die beiden, sind in Ordnung, sehr viel lockerer als in Polen. Vereinzelt thematisieren sie auch das Verhältnis zwischen Deutschen und Polen im Unterricht. Die Lehrer und Schulleiter der fünf Modellprojekte verstehen sich aufs Konflikt- Management. Sie fürchten auch um den Ruf ihrer Schule. Die meisten Konflikte, da besteht Einigkeit von Gartz bis Guben, sind alterstypisch und haben mit Ausländerfeindlichkeit nichts zu tun. Am Neuzeller Gymnasium gebe es zum Glück keine Übergriffe von rechten Jugendlichen — ein Erfolg des deutsch-polnischen Schulprojektes.
„Stell dir vor“, ereifert sich Martin, „die Polen müssen um 20 Uhr im Internat sein. Da wird abgeschlossen. Da kannst du doch jede Fete und jeden gemeinsamen Diskobesuch in den Wind schreiben. Dabei sind die alle über achtzehn.“ Die deutschen Jugendlichen trauen sich umgekehrt nicht in die finstere Gegend, in der das polnische Internat steht. Dreimal ist es bereits überfallen worden. Von polnischen Neonazis. „Das Ministerium hat nur mit der Schulter gezuckt“, erzählt Martin, „das sei schließlich Sache der Polen.“
Die polnischen Schüler, die auf deutscher Seite untergebracht sind, sind auch nicht besser dran. In Eisenhüttenstadt sind vor dem Internat eines Abends 50 Skins aufmarschiert und haben die polnischen Schüler in Angst und Schrecken versetzt. Mit Wehmut denken sie an ihre Anfangszeit, als sie im Dachgeschoß des Klostergebäudes untergebracht waren. Aber das ist aus brandschutztechnischen Gründen untersagt worden.
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