piwik no script img

Peinlicher Überflieger

Ein Sprachführer aus dem Rowohlt Verlag. Das Buch strotzt von Fehlern und Klischees  ■ Von Klaus Jetz

Als linguistische Ergänzung zu den handlichen und preiswerten Reiseführern etwa aus der Reihe DuMont Extra oder Marco Polo verstehen sich wohl die Sprachführer der Reihe „Überflieger“ aus dem Hause Rowohlt. Schließlich wissen die Herausgeber der Überflieger-Reihe genausogut wie die Adressaten selbst: „Wer neugierig ist auf andere Länder und ihre Menschen, der kommt um Sprachkenntnisse nicht herum.“ Und was liegt da für den Lateinamerika-Touristen, der am Schalter für 1.000 Mark eine zweiwöchige Halbpensions-Reise nach Cancún, Bávaro Beach oder auf die Isla Margarita erstanden hat, näher, als nach einem Sprachführer für 12,90 Mark zu greifen. Und dieser verspricht überdies „einen Einstieg für alle“, die sich „ohne großen Aufwand vorbereiten möchten“.

Auf den ersten Blick unterscheidet sich „Spanisch für Lateinamerika in letzter Minute“ von anderen Sprachführern und Lehrbüchern allein durch das Fehlen von spanischen Texten, die die verschiedenen Lektionen einführen und an denen Redewendungen und grammatikalische Phänomene veranschaulicht werden. Statt dessen findet der Leser deutsche Texte, „nützliche Informationen und kulturelle Tips für den Aufenthalt zwischen dem Rio Bravo del Norte und der Tierra del Fuego“. Doch hier hätte sich der Autor besser an Vorbilder wie Langenscheidt, Hueber oder Pons gehalten und dem ahnungslosen Leser kurze Dialoge für Alltagssituationen oder knappe nüchterne Länderinformationen in einfachen spanischen Texten präsentiert, anstatt Klischees, Platitüden und geistlose Witze wiederzugeben.

So schreibt Motz in Lektion 4 Unterwegs/En camino: „Wer seinen Rucksack unbeaufsichtigt stehenläßt, darf sich nicht wundern, wenn bei seiner Rückkehr keine zwei dort stehen.“ Selbst vor der Wiedergabe unrichtiger Ausdrücke schreckt er nicht zurück, nur um eine vermeintlich trockene Lektion durch ätzende Eselsbrücken aufzulockern. Der eigentliche Zweck seines Buches und dessen Adressat sind da schnell vergessen: „Die gebräuchlichste Frage nach dem stillen Örtchen lautet: ¿Dónde está el baño? – und nicht etwa: ¿Dónde está el closet? Wer pinkelt schon in den Wandschrank?“ Eine weitere Kostprobe aus der Lektion „Ärztliche Versorgung“: „Bei Verletzungen durch Schlangen, Skorpione und anderes Getier wissen die Einheimischen am besten Bescheid, also erst einmal fragen, bevor man den Survival-Reiseführer-Tip befolgt und den betroffenen Körperteil mit der machete abhackt.“ Ein anderes Überlebenspaket hingegen, ein sogenanntes „Survival- Militär-Paket“, das sich um Staatsstreich, Ausgangssperre, Folter und Tränengas dreht, scheint dem Autor wichtig genug, um in den Wortschatz „Kommunikation für Anfänger“ aufgenommen zu werden. In der letzten Lektion La droga und La corrupción holt Motz dann noch einmal richtig aus und gibt sein oberflächliches Lateinamerika- Bild preis.

Das Buch gehört nicht in die Reihe „Sprachen“ eines der größten deutschsprachigen Verlage, sondern in einen noch zu schaffenden Katalog der peinlichsten Bücher. Oder frei nach Motz: Was sollte der kurzentschlossen nach Lateinamerika Reisende in letzter Minute getrost zu Hause lassen? a) Reisepaß b) Dollar-Schecks c) das Buch „Spanisch für Lateinamerika in letzter Minute“. Klaus Jetz

Roland Motz: „Spanisch für Lateinamerika in letzter Minute. Ein Sprachführer für Kurzentschlossene“, 1996, 155 Seiten, 12,90 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen