: Wühlen in fremden Innereien
■ RTL 2 hat den Fall Weimar verfilmt, die Ausstrahlung aber verschoben, "um keinen Einfluß auf das Verfahren zu nehmen": "Der Kindermord" (20.15 Uhr, RTL 2)
Termingerecht zum erneuten Verfahren gegen Monika Böttcher hatte RTL 2 den Fall Weimar verfilmen lassen. Ursprünglich sollte die hauseigene Version eines der spektakulärsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte bereits am 15. April, also noch vor der Urteilsverkündung am vergangenen Donnerstag, ausgestrahlt werden. Kurzfristig wurde jedoch entschieden, den Sendetermin von „Der Kindermord“ zu verschieben, um – wie es in einer Pressemitteilung hieß – „keinen Einfluß auf das Verfahren zu nehmen“. Offensichtlich sind die Verantwortlichen des Kölner Kommerzsenders inzwischen größenwahnsinnig geworden und glaubten ernsthaft, das Gericht nach der mittlerweile zehn Jahre währenden medialen Ausschlachtung des Falls ausgerechnet mit einem Fernsehfilm beeinflussen zu können. Womöglich ist diese Programmverschiebung aber auch nur eine besonders dreiste Form der Produktvermarktung.
Dabei hat man mit dem Krimiautor Fred Breinersdorfer und den Hauptdarstellern Maria Schrader und Jürgen Vogel durchaus versierte Kräfte gewonnen, die dafür verantwortlich sind, daß zumindest kein gewöhnlicher Thriller entstanden ist. Die Weimars heißen jetzt Menzel, den Handlungsort hat man nach Berlin verlegt, den amerikanischen Geliebten Pratt hat man in einen Briten namens Bucks und die zwei Weimar-Töchter in einen Jungen und ein Mädchen verwandelt. Der Film bleibt gerade noch nah genug am tatsächlichen Geschehen, um nicht vollends ins Spekulative abzurutschen, auch wenn Breinersdorfer sich einiges zusammenreimen darf, da trotz aller bekannten Fakten das zentrale Rätsel wohl niemals gelöst werden wird: War es der Vater oder die Mutter, oder töteten gar beide gemeinsam die Kinder?
Breinersdorfer konzentriert sich zunächst ganz auf die Figur der Kathrin Menzel und erzählt die Geschichte eines von männlicher Gewalt umstellten weiblichen Opfers: Ihr Mann, der für sie sexuell reizlos geworden ist, sie aber täglich bedrängt und schließlich schlägt, als er von ihrem Verhältnis mit dem britischen Soldaten Phil Bucks erfährt, hat sich in einem perspektivlosen Leben eingerichtet und verweigert ihr jede Möglichkeit, sich zu entwickeln. Ihr Vater, der ebenfalls in der klaustrophobisch engen Wohnung lebt, sieht in ihr nur eine überflüssige Haussklavin, deren Mutter er geraten habe, sie abtreiben zu lassen. Und ihr Geliebter, der verschweigt, daß er verheiratet und Vater von drei Kindern ist, verlangt, daß sie Mann und Kinder verläßt, ohne ihr eine gesicherte Zukunft zu bieten.
Regisseur Bernd Böhlich hat diese Kleinbürgerhölle mit dem heimorgelnden Ehemann, den ententanzenden Kindern, den beschnapsten Nachbarn, dem Haß versprühenden Vater und dem geilen Soldaten mit Liebe zum Detail inszeniert. Hier dürfen die Schauspieler ihren Fähigkeiten freien Lauf lassen: Ausgestattet mit einer Minipli-Fisur à la Rudi Völler trumpft Proletendarsteller Nummer eins Jürgen Vogel gekonnt rüpelhaft als Ehemann auf, um im nächsten Moment durchaus leidenschaftlich die ganze Bitternis gescheiterter Illusionen herauszuweinen. Christian Redl treibt als polternder Übervater das Unheil voran und spielt wieder eine seiner Lieblingsrollen: den Kleinbürger als Terroristen. Insgesamt eine über dem Durchschnitt des gewöhnlichen TV-Krimis angesiedelte Leistung der Hauptdarsteller, die zum einen die Stärke des Films sind, zum anderen aber auch seine Schwäche offenbaren.
Denn der Film krankt von vornherein an seiner Besetzung, am schönen äußeren Erscheinungsbild. Auch wenn Maria Schrader sich in häßliche Muttischürzen zwängt, ist sie eben keine Arbeiterfrau oder kleinbürgerliche Mutter, die sich so einfach in ein falsches Leben zwingen ließe. Sie muß nicht mehr ausbrechen, weil ihre Erscheinung schon alles vorwegnimmt. Und als ob sie diesen Widerspruch überspielen wollte, steigert sich Schrader in ihre Rolle hinein, die plötzlich nichts mehr mit dem realen Vorbild zu tun hat, wenn man sich Monika Weimar und deren gesellschaftlichen Hintergrund vor Augen führt.
So können die glänzenden Darsteller auch nicht lange über den Grundfehler des Films hinwegtäuschen: Es ist ein obszöner Vorgang, eine Familientragödie nachzuzeichnen, in der eine der Beteiligten bis vor kurzem auf der wirklichen Bühne des Gerichts stand. Während Monika Weimar – um es pathetisch zu sagen – um ihr Leben kämpfte, liebt, lacht und weint ihr ästhetisch überhöhtes Alter ego Maria Schrader. Dieses Wühlen in den Innereien eines fremden Menschen dient nur dazu, ein auf Reiz trainiertes Publikum am Leid anderer teilhaben zu lassen.
Statt etwa auf die Bedingungen eines sozialen Milieus, das solche Konflikte produziert, einzugehen, konzentrieren sich Autor und Regisseur auf das Leid einer Frau als Einzelschicksal, um den Zuschauer über das so angesprochene Gefühl für die Angeklagte Partei nehmen zu lassen, die hier noch vor dem wirklichen Urteil freigesprochen wird. Nichts, aber auch rein gar nichts trägt zur Erhellung des Falls bei. Doch darum geht es dem bislang allenfalls durch seine Jugend- oder Sexmagazine wie „Bravo TV“ oder „peep!“ in Erscheinung getretenen Sender RTL 2 auch nicht. Und seine Befürchtung, mit dem Film das Verfahren „beeinflussen“ zu können, war wohl doch nur schlichter Größenwahn. Michael Ringel
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