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Tröten für den Bierstandort

DGB-Hauptveranstaltung zum Tag der Arbeit in Hamburg: Dieter Schulte, die Pogo-Partei und die Sorge um Hamburgs Ansehen  ■ Von Judith Weber

Feinbilder einen. Gerade noch haben die 1. Mai-DemonstrantInnen geduldig auf die von DGB-Chef Dieter Schulte gewartet. Man hat die Demo-Plakate unter die Achsel geklemmt, Bier getrunken und mit dem Nachbarn geschnackt. Von Proteststimmung keine Spur – bis zum Auftritt der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands (APPD), die sich flugblätterverteilend zur Bühne drängelt.

Am Tag der Arbeit, finden die DemonstrantInnen, darf selbst die APPD nicht „Arbeit ist scheiße“brüllen und mit ihren Ilona-Christen- und Berti-Vogts-Plakaten die DGB-Fahnen zur Seite schubsen. Also entsinnen sich die GewerkschafterInnen ihrer Tröten, um die Revoluzzer zu übertuten. Schließlich wird keine fünf Minuten später Dieter Schulte das Podium betreten; die ARD wird diese DGB-Hauptveranstaltung zum 1. Mai live übertragen, und Hamburgs Gewerkschafts-Chef Erhard Pumm wird bitten, „der Republik zu zeigen, daß in Hamburg Stimmung ist“. Peinlich, wenn statt dessen „Arbeit ist scheiße“in die Wohnzimmer der Republik flimmern würde.

Die 15.000 DemonstrantInnen sind sich über das Gegenteil einig. „Ich fordere die Unternehmer auf: Schaffen Sie endlich Arbeitsplätze“, ruft Schulte von der Bühne. Die PolitikerInnen sollten noch in diesem Jahr eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt erwirken, um noch mehr Beschäftigungslosigkeit zu verhindern. Applaus, beifälliges Nicken.

Daß die Appelle auch Früchte tragen, davon sind jedoch nicht alle DemonstrantInnen überzeugt. „Ich weiß nicht, ob das was bringt“, sagt die Hamburgerin Lisa Lüttgens. Zu zahm sei die Demo, zu wenig kämpferisch. „Aber zu Hause bleiben kann ich auch nicht, und irgendwas müssen wir ja machen.“

Also trägt Lüttgens eine rote Demo-Nelke an der Jacke und marschiert mit, vom S-Bahnhof Hasselbrook zum DGB-Haus am Besenbinderhof. Dort bekommt Dieter Schulte gerade Applaus für die Ankündigung, Hamburg müsse Bierstandort bleiben.

„Das ist doch alles nur Polemik“, ärgert sich ein Zuschauer. Der Protestzug sei „ein Fest für Eingeweihte“, sprich: die Gewerkschaften. Außerdem trügen nicht die PolitikerInnen die Schuld an der Arbeitslosigkeit, sondern die Banken. Er bleibt am Straßenrand stehen – ist damit aber immer noch näher am Geschehen als seine Nachbarn, die mit der Videokamera hinter ihrem Fenster sitzen.

Dabei geht es am 1. Mai gar nicht nur um Arbeit. Beim Protestieren gilt: Jeder darf mal. Die Gesamtschule am Grellkampf demonstriert gegen ihre Schließung, Kurdenvereine für mehr Toleranz. Der Touristenverein Naturfreunde verteilt Prospekte, und die PDS wird ihre Erklärung zur Bürgerschaftswahl los. Erst beim Dosenwerfen auf der Spielwiese schimmert wieder Arbeitskampf durch. Hier dürfen Büchsen vom Tisch gekickt werden, auf denen „Ausbildungsplatzabbau“oder „Arbeitslosigkeit“steht.

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