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Schulterklopfen bei der Polizei

■ Polizeipräsident Saberschinsky, aber auch Demo-Veranstalter werten den zehnten "revolutionären 1. Mai" als vollen Erfolg. 325 Festnahmen am Tag der Arbeit

Kreuzberg, Heinrichplatz, irgendwann in der Nacht zum Freitag: Wannen an jeder Ecke, ein Kommen und Gehen in Grünweiß. Wer verdächtig lange auf der Straße schlendert, anstatt den Gehweg zu benutzen, wird von lautstark sächselnden Ordnungshütern verscheucht. Am Görlitzer Bahnhof ist keine Bürgersteigecke mehr frei. In der Wiener Straße stehen die Wannen so dicht, daß der Bus nicht mehr durchkommt. Vor der Feuerwache haben die Rettungswagen nur eine schmale Schneise zum Ausrücken. Es müssen Hunderte von Transportern, Räumpanzern und Wasserwerfern sein. Zu zehnt lungern die Besatzungen vor den Kneipen. Wer vor dem Wiener Blut laut lacht, macht sich schon fast strafbar. Klirrt irgendwo eine Bierflasche, wenden sich ruckartig 30 behelmte Köpfe. Schon am Nachmittag war die Straße zwischen Kottbusser Brücke und Kottbusser Tor gesperrt: Aufmarschraum für die Staatsmacht.

Polizeipräsident Hagen Saberschinsky ist zufrieden. Schließlich, so meint er, waren die massiven Polizeieinsätze zur Walpurgisnacht und am 1. Mai ein voller Erfolg. Durch flächendeckende Präsenz und konsequentes Eingreifen sei die Eskalation verhindert worden. Durch jahrelange Erfahrung mit den „Störern“ sei die Berliner Polizei inzwischen eine der besttrainierten Truppen Europas, klopfte sich Saberschinksy auf die Schulter. „Für Chaoten ist in dieser Stadt kein Platz“, meinte der Polizeipräsident. Die 200 Platzverweise und 59 „Freiheitsentziehungen“, die Polizeikräfte gegen walpurgisnachtwillige BesucherInnen des Kollwitzplatzes unternahmen, sieht Saberschinsky als eine „Wohltat für die Anwohner, die heftig bemüht sind, ihren Bezirk wiederherzurichten“.

Auch die Veranstalter der „revolutionären 1.-Mai-Demo“ vom Rosa-Luxemburg-Platz werteten gestern ihren Umzug als Erfolg. Allerdings nicht wegen, sondern trotz der Polizeieinsätze, die laut Saberschinsky, „dem Schutz des Grundrechtes auf Versammlungsfreiheit“ gedient haben. Insgesamt wurden am 1. Mai und in der Nacht zuvor nach Polizeiangaben 325 Personen festgenommen, davon 70 während der beiden Demonstrationen. 5.000 Polizisten aus mehreren Bundesländern waren im Einsatz, darunter 1.400 Beamte vom Bundesgrenzschutz.

In Kreuzberg entbrannte das Gefecht zwischen Ordnungsmacht und Linken erst um 20.45 Uhr, kurz vor dem Ende des bis dahin vollkommen friedlichen Straßenfestes auf dem Mariannenplatz, als an der Ecke Muskauer Straße ein Pkw umgekippt und angezündet wurde. Die kurz darauf eintreffenden Beamten wurden von einem Pflastersteinhagel empfangen. Obwohl nur wenige Straßenfestbesucher an der Auseinandersetzung beteiligt waren, räumte die Polizei das gesamte Areal. Es kamen ein Wasserwerfer und reichlich Tränengas zum Einsatz, obwohl sich noch Kinder auf dem Platz befanden. Dabei wurde nach Angaben des Rechtsanwaltes Christian Ströbele, Sprecher des Landesvorstandes der Bündnisgrünen, am Mariannenplatz auch der Schatzmeister der Partei, Werner Hirschmüller, von Polizeikräften hinterrücks niedergeschlagen, mit Gummiknüppeln traktiert und schließlich verhaftet, als er sich schützend vor eine junge Frau stellte. Hirschmüller und der Vorstand der Grünen haben Strafanträge wegen Körperverletzung im Amt gestellt.

Im weiteren Verlauf des Abends kam es in Kreuzberg immer wieder zu Scharmützeln, bei denen die Polizei teilweise unverhältnismäßig brutal, auch gegen Unbeteiligte, vorging. Ein Mann berichtete gegenüber der taz, er sei wegen schweren Landfriedensbruchs festgenommen worden, als er lediglich seine leere Bierflasche auf die ebenso leere Straße geworfen habe. Auch zu den Medienvertretern war die Polizei alles andere als freundlich: Ein taz-Reporter beklagte eine durch polizeiliche Schläge geschwollene Lippe. Ein Kameraassistent der Fernsehnachrichtenagentur WTN war bereits auf der Demonstration im Osten verhaftet worden. Er sei mit einer Aluminiumleiter gegen Beamte vorgegangen, teilte die Polizei mit, es werde ermittelt.

Vertreter der „revolutionären“ Gegenseite verletzten am Mariannenplatz den Kameraassistenten eines Sat.1-Teams so schwer, daß er wiederbelebt werden mußte. Autonome Straßenkämpfer ließen außerdem nach Polizeiangaben fünf Autos in Flammen aufgehen und demolierten Bushaltestellen, eine Telefonzelle und Bauwagen.

Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) hatte schon im Vorfeld des Tages der Arbeit angekündigt, mit aller Härte gegen die traditionellen Ausschreitungen vorzugehen. Schon am Kollwitzplatz demonstrierte die Exekutive, wie der Hase zu laufen hatte: in möglichst weitem Bogen um die Ordnungsmacht herum. Gereon Asmuth, Hannes Koch,

Holger Wicht

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