: Couragiertes Kuddelmuddel
■ Wie die neue Bürgerinitiative „Hamburger Aufschrei“lautstark unser aller öffentlichen Mut zu stärken beabsichtigt
Hamburg schrie durcheinander. „Wir müssen den Sinn für Zivilcourage wieder wecken“, rief der CDUler Peter Schmidt. „Die Kindererziehung dürfen wir nicht dem Fernseher überlassen“, floskelte eine Zuhörerin und reichte das Mikrofon einem Mann, der für die Wiederbelebung preußischer Werte warb.
Alles schien erlaubt, als am späten Dienstagabend sich etwa 100 HamburgerInnen im Nobelhotel „Steigenberger“auf der Fleetinsel zur Gründungsversammlung der Bürgerinitiative Hamburger Aufschrei für Zivilcourage trafen.
Mehr Gespräche mit den NachbarInnen, Vorträge in Schulen und Buttons mit dem Ini-Logo – aus der Hundertschaft Zivilcouragierter prasselten die Vorschläge auf den Aufschrei-Gründer Peter Schmidt nieder. „Diese Diskussion ist vollkommen unstrukturiert“, freute sich BI-Vorständler Axel vom Bruch. Etwas anderes habe er auch nicht erwartet. Sprach's und notierte jede Idee, auf daß den Mitgliedern in wenigen Wochen ein Konzept vorgelegt werden könne.
Denn etwas muß passieren in Hamburg, darüber waren sich die Anwesenden einig. Doch Streife gehen in Parks und Bahnen komme für den Aufschrei ebensowenig in Frage wie geldreiche Opferhilfe, betonte Schmidt. Also was tun? „Die Politiker sind gefordert“, fanden die einen. „Überfälle in der S-Bahn gehen uns alle an“, konterten die anderen. Ein Zuhörer verlangte nach mutigeren Frauen, ein anderer nach weißem Pfeffer in deren Handtaschen: „'ne Handvoll einem Täter ins Gesicht schmeißen, und weg ist der.“
Ob gepfeffert oder nicht: Mit mehr Zivilcourage käme es nicht zu Vergewaltigungen in der S-Bahn, erklärte Schmidt. Bereits Anfang der achtziger Jahre habe er dagegen protestiert, daß in den Stationen keine Wachleute mehr stehen. Damals war er noch Bürgerschaftsabgeordneter der CDU. Als er jetzt, nach 20 Jahren im Parlament, die Bürgerinitiative initiierte, liefen seine Telefonleitungen heiß. Mehr als 200 Menschen riefen innerhalb weniger Tage bei ihm an.
Viele waren selbst schon mal überfallen worden. Auch im Steigenberger ließen Gewaltopfer ihre Angst raus. „Ich fürchte mich bei jedem Geräusch nachts“, erzählte eine Jugendliche. Sie wurde in der S-Bahn belästigt. Erst als der Täter sie trat, sei ihr damals ein Mann zur Hilfe gekommen. Ihr Vorschlag: Das Selbstwertgefühl der Opfer stärken.
Zunächst aber müsse die Initiative bekannt gemacht werden, möglichst bundesweit. Die zu diesem Zwecke selbst gezeichneten Logo-Entwürfe Schmidts – aufgerissener Mund plus „stilisierter Stift mit Michel obendrauf“– schmetterte die Versammlung jedoch ab. „Neeee ...“kommentierte eine Lehrerin im Publikum. „Das lassen Sie lieber Schüler in den Grundschulen zeichnen“. Judith Weber
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen