Hoffen auf die guten Geister

■ Den HändlerInnen im vietnamesischen Handelszentrum in Lichtenberg droht die Schließung ihrer Läden, weil Immobilienbesitzer ICI und Hauptmieter um die Miete streiten

Lan* zündet ein Räucherstäbchen an und ordnet die Pullover auf dem Fußboden. „Wenn die gut sortiert sind, kaufen die Kunden vielleicht heute noch bei ihr“, sagt sie. Normalerweise bleibt Lan, die einen Textilstand im vietnamesischen Großhandelszentrum in Lichtenberg betreibt, für allzuviel Ordnungssinn keine Zeit. Und ihre Kunden, allesamt vietnamesische Straßenhändler, schauen mehr auf den Preis als auf die Anordnung der Waren. Normalerweise ist Lan morgens um 10 Uhr noch nicht im Laden. Da kauft sie Waren von den Großhändlern in Neukölln und Kreuzberg ein.

Heute macht es keinen Sinn, Waren einzukaufen. Denn Lan weiß nicht, ob sie morgen noch Textilien verkaufen kann. Was sie für den Laden noch tun kann, ist, das Räucherstäbchen anzünden und ein Gebet sprechen. Die Bewag hat für heute angekündigt, dem vietnamesischen Handelszentrum den Strom abzudrehen. Denn der Vermieter schuldet ihr mehrere Monatsraten.

Vor zwei Jahren verkaufte Lan noch Textilien an einem S-Bahnhof. Der Stand in der Markthalle war dazu die Alternative. Lan und ihr Mann erwarben die Textilien von den Großhändlern und verkauften sie weiter an ihre Landsleute. Den Händlern kommt die mangelnde Integration der VietnamesInnen in die deutsche Gesellschaft zugute. Bei Lan können die Markthändler Ratenkauf und Rückgaberecht vereinbaren, das ihnen kein nicht vietnamesischer Großhändler gewährt. Die vielen asiatischen Imbisse bieten zudem für die Straßenhändler, deren Freizeit knapp bemessen ist, auch individuelle Einkaufsmöglichkeiten und asiatisches Flair. Die Markthalle ist eine kreative Antwort der vietnamesischen Einwanderer auf die Arbeitsmarktsituation.

Das Grundstück in der Rhinstraße 139, hinter Hochhäusern versteckt gelegen, hat die Immobilienfirma ICI einst preiswert von der Treuhand erworben. Die Zusammenarbeit mit den vietnamesischen Händlern war alles andere als eine Liebesheirat. Verwalter Klaus Illgner nennt die Vietnamesen immer nur „Fitschies“, hat Tamara Hentschel vom Verein „Reistrommel“ beobachtet. Der ehemalige Prokurist Ralph Schwindt, der ein Konzept für ein vietnamesisches Handels- und Kulturzentrum in der Rhinstraße inclusive Pagode entworfen hatte, und sein vietnamesischer Mitarbeiter Thanh sind aus der Firma ausgebootet worden. Allzu vietnamesisch sollte das Grundstück nun doch nicht aussehen. Doch was für jeden anderen Investor ein Schrecken wäre, ist für die vietnamesischen Händler die Existenzbedingung. Die abgeschiedene Lage fernab der Hauptstraße. Hier ist kein Ärger mit deutschen Büronachbarn zu befürchten, wenn der Müll mal etwas länger herumliegt als üblich oder wenn der Geruch von Fischsauce oder Räucherstäbchen aus den Räumen dringt.

Um nicht mit jedem Mieter selbst verhandeln zu müssen, vermietete die Firma ICI die Immobilie an das deutsch-vietnamesische Paar Buchholz & Thang. Doch was als Arbeitsersparnis gedacht war, bringt der Firma ICI nunmehr fast den Ruin: Seit etwa einem Jahr zahlen die Generalmieter Buchholz & Thang keine Miete und kaum Betriebskosten, obwohl er von den Händlern Geld kassiert. Die Klage liegt beim Kammergericht noch immer in der Beweisaufnahme. Der grobe, stets fluchende Karl Buchholz und seine clevere Partnerin Thang sind bei Lan und ihren Ladennachbarn alles andere als beliebt: Buchholz droht den Mietern. Standinhaber berichten von Schlägereien. Zwei Mitarbeiter von ICI haben Buchholz wegen Morddrohungen angezeigt. Seit etwa zwei Monaten zahlt kaum noch ein Händler Miete an Buchholz. Seitdem fordert ICI die Mieter auf, direkt an sie zu zahlen, und stellt andernfalls die Abschaltung der Halle vom Stromnetz wegen Zahlungsunfähigkeit in Aussicht. Mehrere „Probeabschaltungen“ haben die Mieter schon erlebt. Mitten im Winter standen sie ohne Heizung und Licht da.

Lan weiß, daß sie eigentlich nur falsch entscheiden kann. Zahlt sie nicht an Buchholz, wird der die Halle zuschließen oder in ihrem Laden einen Wutanfall austoben. Zahlt sie nicht an ICI, steht sie ab heute im Dunkeln, und die Kunden bleiben aus. Zahlt sie an beide, schmälert das den Umsatz.

Etwa 15 Mieter haben am Freitag einen direkten Mietvertrag mit ICI abgeschlossen, der eine „Freistellungsklausel“ vom Vertrag mit Buchholz enthält. Lan hat nicht unterschrieben. Freitag war der dritte Tag nach dem Neumond. Der hat nach dem vietnamesischen Aberglauben ein schlechtes Omen. Erst wenn die Hälfte der 50 Gewerbemieter sich auf diesen Kontrakt einläßt und ihre Miete direkt weiterreicht, ist die ICI vor der Gesamtvollstreckung gerettet und die Händler vor der Schließung ihrer Läden. Falls die nicht durch Buchholz geschlossen werden.

Indessen werden die vietnamesischen Händler von anderen Vermietern heiß umworben. Die Vietnam Center GmbH Berlin bot ihnen im besten Partei-Vietnamesisch Räume in einem noch auszubauenden Gebäude an. Ihr Appell an die Händler, bei ihnen schon jetzt Mietverträge zu schließen, trägt die Handschrift eines patriotischen Kampfrufes aus den 60er Jahren an die „Solidarität der Gemeinschaft der Vietnamesen in gegenseitiger Unterstützung im Leben sowie im Handel“. Angesichts tiefer, auch wirtschaftlicher Rivalitäten unter Berliner Vietnamesen klingt das wie Heuchelei. Und um die Konfusion vollständig zu machen, wirbt seit einigen Tagen eine Fastfood-Franchise-Beteiligungsfirma ebenfalls darum, die Vietnamesen sollen bei ihnen in derselben Immobilie Räume mieten. Doch nicht zu wissen, mit wem man einen Mietvertrag abschließen darf, diese Erfahrung hat Lan gemacht, kann die Existenz ruinieren. Um die guten Geister zu Hilfe zu holen, zündet sie ein neues Räucherstäbchen an. Marina Mai

* Name von der Redaktion geändert