: Das Fahrrad erobern
■ Die Tochter des Staatspräsidenten galt Iranerinnen als Hoffnungsträgerin
„Es waren immer Männer, die die islamischen Gesetze manipuliert und sie dementsprechend durchgeführt haben.“ Diese Worte stammen von einer Frau, die vor einem Jahr vielen Iranerinnen als Hoffnungsträgerin galt: Faiseh Haschemi (34), Tochter des iranischen Staatspräsidenten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani und seit dem vergangenen Frühjahr eine von zehn Frauen im 270köpfigen iranischen Parlament.
Vor allem Frauen der Oberschicht sahen ihre damalige Kandidatur als Anzeichen dafür, daß sich die Verhältnisse bessern würden. Trotz des verhüllenden Schadors zeigte Faiseh Haschemi auf ihren Wahlplakaten ein wenig mehr Gesicht als andere Kandidatinnen. Sie unterschied sich damit nicht mehr gar so krass von dem öffentlichen Erscheinungsbild vieler Iranerinnen vor allem im reichen Norden Teherans, wo Lidschatten, Jeans und toupierte Haare längst zu einer Mischung aus Statussymbol und Protest geworden sind. Faiseh Haschemi schaffte im ersten Wahlgang den Sprung in das Parlament – als zweitstärkste KandidatIn, direkt nach Irans Parlamentspräsident Ali Akbar Nateq Nuri.
Doch ein Jahr danach ist Faiseh Haschemi an Irans konservativen Klerikern gescheitert. Während ihres Wahlkampfes war die verheiratete Mutter von zwei Kindern stets darauf bedacht, allzu politische Äußerungen zu vermeiden. Das Thema der Politologin war der Sport. Oder besser: der Kampf vieler iranischer Frauen, überhaupt Sport ausüben zu dürfen. „Sport ist ein wichtiger Faktor für die Gesundheit einer Gesellschaft, besonders der jungen Generation“, formulierte die Vizevorsitzende des Nationalen Olympischen Komitees vorsichtig. Konkret forderte sie, daß iranische Frauen in der Öffentlichkeit wenigstens Fahrrad fahren dürfen. Denn bisher ist es Iranerinnen nur in geschlossenen Arealen erlaubt, sich körperlich zu ertüchtigen. Gerade das Radfahren ist im vorgeschriebenen langen Mantel völlig unpraktikabel, gerät dieser doch leicht in die Speichen. Eine „keusche“ Alternativmode ist bisher nicht in Sicht.
Konservative Kleriker scholten Faiseh Haschemi als Feministin. Sich selbst als Feministinnen bezeichnende Iranerinnen im Exil warfen ihr umgekehrt vor, sich nicht für die Unterdrückung iranischer Frauen, die Auspeitschungen und Steinigungen angeblicher Ehebrecherinnen zu interessieren.
Wohlwollenden BeobachterInnen fiel auf, daß Faiseh Haschemi bemüht war, den Islam stets zugunsten der Frauen zu interpretieren. Sie verwies darauf, daß der Koran die Vielehe nur für besondere Situationen vorgesehen habe, etwa bei kriegsbedingtem Männermangel. Da im Iran derzeit Frieden herrsche, laute die (theo)logische Schlußfolgerung: Abschaffung der Polygamie.
Doch damit erregte sie Widerspruch unter konservativen Gemütern: Anhänger der Ansar-e Hisbollah, jener berüchtigter Schlägertrupps, die zur Hausmacht des religiösen Führers Ali Akbar Chamenei gehören, überfielen und verprügelten Fahrrad fahrende Frauen, auch wenn sie dies mit Genehmigung in geschlossenen Parks taten. Die religiösen Hooligans erhielten publizistische Rückendeckung: „Sie wollen uns weismachen, daß unsere Frauen wie Japanerinnen auf den Straßen joggen und wie Hunde herumrennen müssen. Sie wollen, daß unsere Frauen radfahren. Dies alles aber würde unseren Charakter verderben und die Familie zerstören“, schrieb die Zeitung Sobh. Einen Einblick in die dahinter steckende Befindlichkeit gab Großajatollah Behjat in einer Fatwa: „Wenn Frauensport vor fremden Männern betrieben wird und sexuelle Stimulation verursacht, dann ist er unzulässig.“
Mittlerweile äußert sich Haschemi politischer: „Wir müssen die positiven Aspekte des Westens mit unseren islamischen Werten verträglich machen“, sagt sie. Gemäß Verfassung müßten alle IranerInnen akzeptiert werden, „auch wenn sie keine Anhänger der Revolution oder beim Freitagsgebet nicht anwesend sind“. Doch die Nachfolge ihres Vaters antreten – wie vor einem Jahr von Iranerinnen gehofft –, will sie nicht.
Unter den zehn Personen, die für das am 23. Mai zu besetzende Amt des Staatspräsidenten kandidieren wollten, war die Dozentin Asam Taleqani die einzige Frau. „Ich verlange, daß Artikel 115 der Verfassung interpretiert wird“, sagte sie der staatlichen Nachrichtenagentur Irna, „denn er besagt, daß der Präsident zu den religiösen und politischen Persönlichkeiten des Landes gehören muß. In keinem islamischen Dokument heißt es, daß Frauen keine politischen Persönlichkeiten sein können.“ Doch konservative Rechtsexegeten behaupten, daß mit dem Passus Persönlichkeiten eindeutig Männer gemeint seien. Das letzte Wort hatte letzte Woche der sogenannte Wächterrat – das ausschließlich mit Männern besetzte Gremium lehnte ihre Kandidatur ab. Thomas Dreger
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