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„Denen geht der Arsch auf Grundeis“

Schilleroper: Bezirk droht Millionenverlust, weil Flüchtlinge nicht umziehen  ■ Von Heike Haarhoff

Das Drama um die Schilleroper auf St. Pauli nimmt kein Ende. Die Sozialdezernentin des Bezirks Mitte, Ute Florian, weigert sich, 88 Flüchtlinge aus Afghanistan per Zwangseinweisung in dem maroden Bauwerk am Neuen Pferdemarkt unterzubringen. Das bestätigte das Sozialamt gestern. Eine Begründung gab es nicht.

Der Bezirk gerät damit in arge Bedrängnis: Er hat die Schilleroper am 1. April verbindlich für zwei Jahre als Flüchtlingsunterkunft angemietet. Satte 50.000 Mark Miete monatlich sind Eigentümer Eberhard Ehrhardt für sein Geschäft mit der Wohnungsnot vertraglich garantiert. Bleibt die Sozialdezernentin hart und die Unterkunft leer, entstehen der Stadt Millionenverluste.

Entsprechend groß war die Aufregung gestern im Bezirksamt am Klosterwall: Er wisse auch nicht, wie es jetzt weitergehen soll – Baudezernent Peter Gero, der die Verhandlungen mit Erhardt maßgeblich geführt hatte, gab sich gestern hilflos. Amtsleiter Rolf Miller (SPD) weilte im Urlaub, sein Vize Georg Cramer war für die taz nicht zu sprechen. „Denen geht der Arsch auf Grundeis“, kommentiert ein Mitarbeiter des Bauamts.

Seit Jahren soll das ehemalige Variété-Theater in ein Stadtteilzentrum umgewandelt werden. Doch der Eigentümer stellte sich stur, und die Stadt belohnte ihn immer wieder mit lukrativen Mietverträgen. Zuletzt vereinbarten Bezirkschef und Baudezernent eigenmächtig, 88 afghanische Flüchtlinge aus der Amsinckstraße, die Ende Mai geschlossen wird, in die Schilleroper umzusiedeln.

Doch die Flüchtlinge wehrten sich mit Händen, Füßen und Widerspruchserklärungen. Die Räume seien trotz neuer Küchen, renovierter Bäder und ungezieferfreier Räumen „menschenunwürdig“, befanden nach einer Begehung am Mittwoch auch Flüchtlingsrat, GAL und CDU. Die Fenster seien zu klein, die Räume für Familien zu eng. Verwaltungsangestellten, die mit Regenschirmen gegen die Decke pieksten, platschte unter den frischen Tapeten die Feuchtigkeit vorausgegangener Jahre entgegen.

Nächste Woche debattiert die Bezirksversammlung. Ausreichend bessere Unterkunftsalternativen gibt es nach Auskunft des Bezirks. Bleibt nur das Kostenargument: Notfalls, so erklärt ein leitender Verwaltungsbeamter die Rechtslage, kann der Bezirkschef sich über die Sozialdezernentin hinwegsetzen und die Zwangseinweisung der Flüchtlinge eigenhändig unterschreiben.

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