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"Angst, erschossen zu werden"

■ Ein "Soldat" der "Nghi Xuan"-Bande steht vor Gericht: Er soll einen Zigarettenverkäufer der konkurrierenden "Ngoc Thien"-Bande erschossen haben

Trong Tuan V. hat Glück gehabt. Die aus dem Rückhalt kommenden Kugeln durchschlugen „nur“ seine linke Schulter. Sein Freund Vang Hung P. dagegen starb an einer 9-mm-Kugel aus einer Selbstladepistole in den Kopf. An den Ort des Verbrechens, ein Wohnhaus in Friedrichshain, hatten sich die beiden Zigarettenverkäufer nicht freiwillig begeben.

Am Boxhagener Platz, neben der Schönhauser Allee ein Brennpunkt des Zigarettenhandels, hatten sie vier Vietnamesen mit Waffen aufgefordert, ihnen in das nahe gelegene Wohnhaus zu folgen. Die beiden sollten umgebracht werden, weil sie einen von ihnen verdächtigten, Schutzgelder an die konkurrierende „Ngoc Thien“- Bande zu zahlen. Tron Tuan V. sollte als Mitwisser ausgeschaltet werden. Wenige Tage nach diesem Mord am 7. Mai 1996 fand die Polizei in einem Hochhaus in Marzahn die Leichen von sechs Vietnamesen, die regelrecht hingerichtet worden waren. Der Machtkampf zwischen den rivalisierenden vietnamesischen Banden kostete im vergangenen Jahr 19 Vietnamesen das Leben.

Seit gestern muß sich einer der mutmaßlichen Mörder von Vang Hung P., ein „Soldat“ der „Nghi Xuan“-Bande, vor der Jugendkammer des Landgerichts verantworten. Ein zweiter wird gesondert verfolgt, und zwei sind entkommen. Der 22jährige Angeklagte äußerte sich, wie die meisten Angeklagten in Prozessen im Zigarettenmilieu, nicht zu den Vorwürfen. Aufmerksam folgte er den Schilderungen des Zeugen Trong Tuan V.: „Ich hatte Angst, daß ich erschossen werden könnte.“ Er war, nachdem eine Kugel knapp am Kopf seines Freundes vorbeigeflogen war, in die oberen Stockwerke geflüchtet. Unterwegs habe er drei Schüsse von unten gehört. „Ich war darauf gefaßt“, sagte er, „daß mein Freund schon tot war.“ Der Angeklagte soll versucht haben, den Zeugen durch gezielte Schüsse zu töten.

Der Angeklagte ist für den Zeugen kein Unbekannter. Im Februar vergangenen Jahres wurde er von ihm und weiteren Vietnamesen bedroht und aufgefordert, am Boxhagener Platz keine Zigaretten mehr zu verkaufen. Auch zu diesen Vorwürfen äußerte sich der Angeklagte nicht.

Während sich die Jugendkammer mühselig durch die vietnamesischen Übersetzungen quälte, hat das Landgericht in einem anderen Fall erstmals einen mußmaßlichen Boß der Zigarettenmafia verurteilt. Der 30jährige Anführer der „Quang Binh“-Gruppe wurde wegen der Verabredung zu einem Doppelmord zu fünf Jahren Haft verurteilt. Er hatte geplant, zwei Vietnamesen zu töten, weil sie erpreßte Schutzgelder nicht abgeliefert hatten. Durch eine Telefonüberwachung hatte die Polizei den Mord vereitelt. „Quang Binh“ und „Nghi Xuan“ haben sich nach Überzeugung der Ermittler blutige Fehden mit der Gruppe „Ngoc Thien“ geliefert. Barbara Bollwahn

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