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Liebe, die einen Namen hat

Hin zur respektablen Sichtbarkeit: Die Ausstellung „Goodbye to Berlin? 100 Jahre Schwulenbewegung“ in der Berliner Akademie der Künste  ■ Von Tsafrir Cohen

Am Eingang steht eine Statue des Erzengels Michael, über zwei als hermaphroditische Monster dargestellte gefallene Engel triumphierend. Seit ihrer Entstehung ist viel Wasser durch die Spree, den Hudson und den Jordan geflossen. Und die Ausstellung „Goodbye to Berlin? 100 Jahre Schwulenbewegung“, die heute in der ehrwürdigen Berliner Akademie der Künste eröffnet wird, ist ein weiteres Zeichen für die Etablierung der „Gay Community“. Die „Liebe, die keinen Namen hat“ hat heute nicht nur einen Namen, sondern mit dieser Ausstellung und der langjährigen Arbeit vieler „bewegter“ Schwuler weltweit auch eine Historiographie. Und diese Historie ist keine einfache Geschichte. Jeder Schwule ist gezwungen – mangels vom Vater zum Sohne übertragener Strategien –, immer wieder den Aufstand zu proben und zu einer ihm gemäßen Lebensform zu finden. Hier erkennt man die ganze Bedeutung einer solchen Ausstellung: Sie ist die Krönung einer Unternehmung, die den Schwulen die Aneignung ihrer kulturellen Geschichte ermöglichen soll, in der alle ihre künftigen Entwürfe liegen.

Dabei steckt schwule Historiographie noch in den Kinderschuhen. Der eine Träger der Ausstellung, das Berliner Schwule Museum, ist das einzige schwule Museum der Welt. Während die Vernichtung der Juden durch die Deutschen das beliebteste historische Thema weltweit ist, liegt über die Schwulenverfolgung nur wenig vor. Ähnliches gilt für schwule Alltagsgeschichte. Noch immer haftet diesen Themen der Makel des Unseriösen, oft auch des Unanständigen und Unwissenschaftlichen an. Mit dieser Ausstellung hat die Akademie der Künste, eine Institution, deren Funktion seit etlichen Jahren kaum wahrnehmbar war, sich und der Sache – auf den Weg in die respektable Sichtbarkeit – einen großen Gefallen getan.

Die etwas sentimental betitelte Ausstellung „Goodbye to Berlin?“ beginnt bei der Gründung der Schwulenbewegung in Berlin und zeigt, wie das teils imaginäre, teils reale Zentrum dieser Bewegung – vertrieben durch die Nazis – ins europäische, dann amerikanische „Exil“ wandert, um im kleinen nach Berlin zurückzukehren in der Form des amerikanischen Einflusses auf die Erneuerung der Schwulenbewegung Anfang der Siebziger.

Diese wahrlich internationale Schau schafft es tatsächlich, mehr als einen geschwinden Einblick in das schwule Leben der gesamten „entwickelten“ Welt des vorigen Jahrhunderts zu gewähren und läßt Berlin wieder für die Dauer der Ausstellung in einem Licht erscheinen, das, so auch das Motto am Ende der Ausstellung, ein erneutes „Welcome to Berlin“ suggeriert. Die Ausstellungsmacher haben die Konzeption um die Emanzipationsgeschichte herum entwickelt, wobei sie freilich der Tatsache Rechnung trugen, daß die Gay Community kaum auf die Schwulenbewegung reduziert werden kann. So könnte die Ausstellung, gespickt mit Kunst, Zeitschriften und Pornographie gut „Schwule Lebenswelten“ genannt werden: Man erkennt die Züge der Gesellschaft, in der die Schwulen lebten, und die unabdingbare Wechselwirkung zwischen ihnen und der umgebenden Gesellschaft.

„Es gibt keine jüdische Kultur“, hat der jüdische Essayist Gombrich gesagt. Ähnliches könnte man über die Schwulen sagen. Die Schwulen seien keine sozio-ökonomische Schicht, erst recht keine ethnische Minderheit. Was sie verbindet – so der schwule Schriftsteller Edmund White in einem seiner schwermütigen Momente –, sei „das Verlangen nach einem Schwanz“. Gewiß bleibt der schwule Aspekt immer ein Teilaspekt, doch wer durch die Ausstellung geht, sieht eine sich durch die Jahrzehnte entwickelnde Kultur, die zwar sowohl einen Röhm als auch einen Oscar Wilde hervorbringt, die aber Gemeinsamkeiten aufweist, die nicht nur sexueller Natur sind. Auf diesem Schwanz können Sie eben bauen (und das, obwohl eine Ausstellung eines kaum erfassen kann: die Sprache).

Waren es im späten 19.Jahrhundert Wagner-Musik und schmächtige südländische Jünglinge in antikisierenden Posen, die offenbar einen wissenschaftlichen und künstlerischen Anschein für den Betrachter hergaben, so wurden es Arbeiterjungs, Anita Berber und Marlene zu Zeiten der Weimarer Republik. In den Jahren seit den Stonewall-Krawallen ist diese Kultur, obzwar immer weniger unterdrückt, noch weiter gediehen: Gay Fiction gehört heute in jede respektable Buchhandlung und behandelt eben die Themen, die Schwule angehen: Coming-out, die Problematik der fehlenden Bipolarität und Rollenspiel im sexuellen Bereich, Promiskuität und das Singleleben. So ist die Summe des schwulen Lebens nicht auf Wohl und Weh des Schwanzes beschränkt – oder der Unterdrückung. Denn, so Foucault, der die Homosexualität als „Diagonale im sozialen Gewebe“ nennt: „Mit diesen sexuellen Entscheidungen [müssen] zugleich Lebensweisen geschaffen werden (...) Schwul sein heißt, im Werden sein.“ Königin Victoria soll sich geweigert haben, ein Gesetz gegen männnliche und weibliche Homosexualität zu unterschreiben, da es so etwas wie weibliche Homosexualität ja gar nicht gebe. Ähnlich gilt es für diese Ausstellung: Die Lesben stehen außen vor. Dabei waren die beiden Bewegungen lange eng verbunden, bis sie sich in den Siebzigern durch die Anbindung der Lesbenbewegung an die Frauenbewegung trennten.

Heute tendieren die beiden Gruppen im angelsächsischen Raum trotz grundverschiedener Kultur und abnehmendem Außendruck wieder zueinander; das Verschweigen weiblicher Sexualität gilt – im Sinne der neuen Trans- Gender- und Queer-Bewegungen – auch als eine Beschränkung „männlicher“ Sexualität. Doch in Deutschland ist die Nachricht noch nicht angekommen, daß das Unsichtbarsein gleichzeitig Form und Folge der Unterdrückung ist. Also doch Goodbye to Berlin!?

Bis 17.8., AdK, Berlin

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