: "Man muß immer zäh dranbleiben"
■ Mercedes-Werk bezieht einen Teil seiner Energie von der Sonne. Betriebsräte bekamen für das Projekt den Solarpreis
Es war ein schwerer Brocken“, sagt Bernhard Hindersin. Was nicht allein an der Dimension lag: Die Idee, Deutschlands größte gebäudeintegrierte Solaranlage auf dem Dach eines neuen Motorenwerkes zu bauen, war den Managern von Mercedes- Benz zunächst kaum beizubringen. Vor allem „betriebswirtschaftliche Gründe“ würden dagegen sprechen: Der Strom, der mit der Photovoltaikanlage produziert wird, sei zu teuer. „Unter kurzfristigen Renditegesichtspunkten kommt dieses Argument immer. Und da das Konventionelle billiger ist, wird das andere abgelehnt“, so Gerd Rathgeb, Betriebsrat bei Mercedes-Benz. Hindersin und er wollten sich mit dem ersten Nein von Werksleitung und Management 1993 jedoch nicht abfinden und erreichten in einem langen Marsch die Stimmungswende: Seit Oktober 1996 fangen auf dem Dach des Motorenwerkes in Bad Cannstatt auf einer Fläche von rund 5.000 Quadratmetern Solarkollektoren Sonnenlicht ein und wandeln es in Energie um. 435 Kilowatt pro Stunde produziert die Anlage bei optimalem Sonneneinfall. 350 Megawatt ist die Gesamtleistung im Jahr. Ausbaubar ist sie auf 1,4 Megawatt Leistung pro Stunde. Die Werksleitung steht im Wort, daß dies auch geschieht. Doch derzeit will man auf die neueste Entwicklung auf dem Markt warten: Dünnschichtzellen, die zum einen preiswerter zu produzieren und zum anderen effektiver sind.
350 Megawatt – das sind ein Prozent des gesamten Strombedarfs des Bad Cannstatter Werks. Was sich in Daimler-Dimensionen wenig anhört, kann sich dennoch sehen lassen. „Umgerechnet würde der Strom reichen, um rund 130 Haushalte zu versorgen. Die Werksleitung ist heute glücklich über die Anlage, denn sie ist eine sehr gute Werbung für die Firma.“ 335 Tonnen Kohlendioxid erspart man so uns und der Atmosphäre. Die Firma, diesen schwerfälligen Tanker, bewegt zu haben, ist hörbar eine Freude für Bernhard Hindersin, der hier erst kürzlich sein 25jähriges Dienstjubiläum feierte. „Alle sind für Solar, niemand ist gegen diese Technik. Aber damit anfangen sollen immer die anderen.“ Jetzt zeigt es endlich einer, und gleich ein großer, daß es funktioniert. Auch wenn viel Kraft nötig war, den Konzern zu überzeugen. „Benz kann Vorreiter sein.“
Bernhard Hindersin ist sich dabei des Widerspruchs bewußt: Umweltfreundliche Energiegewinnung auf und benzinfressende Luxusklassen-Dinosaurier unter dem Dach passen nur schwer zusammen. Im Werk Bad Cannstatt, einer – wie Mercedes es bezeichnet – „Fabrik der Zukunft“, werden zudem ausgerechnet die Motoren für die dicksten Dinger des Automobilkonzerns hergestellt: V6- und V8-Motoren, die unter anderem in der S-Klasse zum Einsatz kommen.
Doch vielleicht ist es eine kleine „Revolution“ von unten, die mit dieser Photovoltaikanlage begonnen hat. Mit den Aktionen für die Anlage gründete sich ein Umweltkreis innerhalb des Untertürkheimer Mercedes-Benz-Werkes, zu dem das Bad Cannstatter gehört. Themen der rund 40 Mitglieder des Kreises sind neben der Solartechnik das 3-Liter-Auto und der Hybride-Antrieb. Beides müsse und werde kommen, ist sich Hindersin sicher. Daß die Unternehmen in diese Richtungen forschen, daß nicht nur Mercedes-Benz in Sachen Wasserstoff-Antrieb bereits sehr positive Erfahrungen gesammelt hat, ist bekannt. Daß sie nicht bis zur Marktreife ausgebaut werden, weil die Firmen nicht allein das finanzielle Risiko der Einführung und „Bedarfsweckung“ tragen wollen, ebenfalls. Möglicherweise sind es wieder die Mitarbeiter, die von innen heraus auch solche Entwicklungen beschleunigen.
Gerd Rathgeb und Bernhard Hindersin, die für ihren Einsatz um die Anlage mit dem Europäischen Solarpreis 1996 ausgezeichnet wurden, packten die Firmenleitung an ihrem „Widerspruch des verbalen Bekenntnisses zum Umweltschutz und der realen Tatenlosigkeit“. Bei einem Kostenvolumen von insgesamt rund 800 Millionen Mark, das für den Bau des Werkes veranschlagt wurde, habe dem Vorstand das Kostenargument gegen die Solaranlage schnell „keiner mehr abgenommen“. Acht Millionen Mark, so die offizielle Angabe von Mercedes-Benz, kostete der Bau von Europas größter gebäudeintegrierter Solaranlage. Hindersin und Rathgeb sprechen dagegen von nur 6,5 Millionen. 19 Prozent davon seien durch Zuschüsse von Bund und Ländern finanziert.
Innerbetriebliche Aktionen, Führungen, Besichtigungen und Diskussionen verstärkten den Druck, der zusätzlich über Veröffentlichungen in regionalen Zeitungen sowie Briefe an Landes- und Bundestagsabgeordnete aufgebaut wurde. Ohne diesen Druck von außen und innen würde es die Photovoltaikanlage nicht auf dem Bad Cannstatter Dach geben, sind sich die beiden Macher sicher „Der Widerstand in den Vorstandsetagen war rational nicht erklärbar“, so Gerd Rathgeb.
In der Zwischenzeit schreckt der Vorstand vor der einmal gezeigten Courage schon wieder zurück: Die Stabstelle Energietechnik wurde aufgelöst. Für ein neues Reihen-Motorenwerk in Untertürkheim wird die Installation einer Solarthermie-Anlage, mit der das Brauchwasser unter anderem für die Waschräume erwärmt werden könnte, aus betriebswirtschaftlichen Gründen abgelehnt. Hintergrund könnte sein, so vermuten Rathgeb und Hindersin, daß Benz von den Neckarwerken ganz in der Nähe wohl äußerst preiswert Wärme beziehen kann. „Doch es kann und darf nicht bei Bad Cannstatt als Demonstrationsobjekt bleiben.“ Beiden ist bewußt, daß die Kennzahlen des Werks sich etwas verschlechtern, wenn die Energiekosten steigen. „Den Unterschied zwischen dem Preis für Solarenergie und dem konventioneller Energie könnte jedoch durch einen anderen Topf gedeckt werden“, finden die beiden. „Beispielsweise aus dem Marketing oder Werbebudget.“ Schließlich seien solche Aktionen für die Umwelt äußerst imagefördernd. Besser als für das neue Reihenmotorenwerk sieht es dagegen für ein geplantes Entwicklungszentrum in Sindelfingen aus. Dort soll möglicherweise, genaueres konnte auch die Mercedes-Pressestelle nicht herausfinden, eine Solaranlage integriert werden.
Eine Anlage auf dem Dach ist allerdings doch besser als eine Solarzelle in der Hand: „Wir beobachten das Projekt mit Interesse und finden es gut, daß die das machen“, heißt es bei BMW. Doch selbst sei und werde man in absehbarer Zeit nicht aktiv. BMW habe andere Schwerpunkte – wie beispielsweise das Wasserstoff-Auto. Bei VW ist nach Auskunft der Pressestelle Ähnliches ebenfalls nicht geplant. Dennoch: Zumindest die Auszubildenden werden an die regenerative Energie herangeführt. Sie bauten eine Solartankstelle für den Golf City Stromer und experimentierten wohl des öfteren auf dem Hof mit solarbetriebenen Kochvorrichtungen – um sich Würstchen zu erwärmen.
Selbst Siemens, nach eigenen Angaben „einer der größten Hersteller von Solaranlagen“, hat auf eigenen Gebäuden oder Produktionsanlagen keine Anlage installiert. Jedenfalls kann man sich bei der Pressestelle nicht an eine solche erinnern. Vorzeigeobjekt für Siemens und die Tochter Siemens Solar ist die derzeit in Bau befindliche Messe München. Dort wird für insgesamt rund 15 Millionen Mark die nach Firmenangaben weltweit größte dachaufgeständerte Solaranlage mit einer Leistung von einem Megawatt pro Stunde gebaut.
„Man muß zäh dranbleiben“, beschreibt Gerd Rathgeb seine Erfahrungen um die Photovoltaik- anlage als Tip für alle, die Ähnliches versuchen möchten. Die Verantwortlichen zu animieren, aus dem klassischen Denken auszubrechen, sich einfach nur einmal vorzustellen, daß regenerative Energie auch betriebswirtschaftlich sinnvoll sein könnte, sei schwierig. Selbst die meisten Mitglieder des Mercedes-Betriebsrates hätten am Anfang das Projekt belächelt und den Einsatz für regenerative Energie nicht als ihre Aufgabe angesehen. Daß das Projekt am Ende dennoch erfolgreich über die Bühne gegangen sei, habe aber bei Daimler viele ermuntert. „Inzwischen bekommen wir Anfragen von vielen Betriebsräten aus anderen Unternehmen.“ Ralf Ansorge
Kontakt: Bernhard Hindersin, Tel. (0711) 1751523, Fax 175087, Gerd Rathgeb Tel. (0711) 1761054, Fax 1761190
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