: „Wir haben auf viele Fragen keine Antworten“
■ Roland Mayer, 43, früheres RAF-Mitglied, und Frank Hermann, 35, vom Konzeptbüro der Roten Fabrik, über die Folgerungen aus den Erfahrungen des bewaffneten Kampfes
taz: Der Kongreß trägt den Namen „Zwischenberichte“. Müßte es nicht eher Abschlußbericht heißen, schließlich sprechen alle auf den verschiedenen Podien davon, daß es sich bei dem bewaffneten Kampf heute um ein abgeschlossenes historisches Kapitel handelt?
Frank Hermann: Es geht uns darum, die verschiedenen Erfahrungen der Beteiligten zusammenzufassen. Wir wollen auch jüngeren Leuten die Möglichkeit geben zu verstehen, wie es zu den bewaffneten Bewegungen gekommen ist, was die politischen Ausgangs- und Rahmenbedingungen dafür waren. Jetzt, wo viele der Gefangenen aus den Knästen herausgekommen sind, gibt es die Möglichkeit, die Protagonisten selbst reden zu lassen – über die Fehler, die Schwächen und die Stärken.
Bei den Debatten fällt auf, daß die meisten der Protagonisten zum ersten Mal überhaupt öffentlich miteinander reden.
Hermann: Es war Teil unserer Überlegung, eine solche Diskussion anzuschieben. Was die einzelnen daraus machen, liegt natürlich in deren Händen.
Hat es in diesem Zusammenhang etwas zu bedeuten, daß zum Beispiel die frühere RAF-Gefangene Irmgard Möller nicht hier ist?
Mayer: Wir haben bei ihr angefragt und sie hat abgelehnt.
Es ist aber kein Geheimnis, daß es Konflikte unter den früheren RAF-Gefangenen gibt, und einzelne deshalb nicht mit anderen öffentlich auftreten wollen.
Hermann: Unser Ziel war und ist es, den Rahmen so offen wie möglich zu gestalten. Primo Moroni, der die Diskussion zu Italien der siebziger Jahre moderiert hat, hat uns zum Beispiel gesagt, es wäre vor drei Jahren in Italien noch nicht möglich gewesen, die Vertreter von so unterschiedlichen Bewegungen und Fraktionen an einen Tisch zu bringen. Wir geben den Rahmen für solche Diskussionen. Und daß der genutzt wird, zeigt sich nicht zuletzt daran, daß das Publikum eine offene Debatte jenseits der alten Rituale einfordert.
In der Bundesrepublik gab es in den achtziger Jahren unter den linken Gruppen einen erbitterten Streit um die Frage der Legitimität des bewaffneten Kampfes. Die Auseinandersetzungen um die Schleyer-Entführung oder um die Erschießung des US-Soldaten Pimental etwa. Hier auf dem Kongreß spielt das keine Rolle.
Mayer: Auf die sicherlich zugespitzte Geschichte der achtziger Jahre wird hier nicht so sehr eingegangen, weil im Vordergrund 20 Jahre 1977 und 30 Jahre 1967 stehen. Ob eine Auseinandersetzung mit den achtziger Jahren stattfindet, hängt aber auch davon ab, welche Fragen gestellt werden. Bis jetzt ist dazu hier wenig bis gar nicht gefragt worden. Wir würden durchaus Position beziehen. Von den hier anwesenden Referenten ist es aber auch insofern schwierig, authentisch über diese Zeit zu berichten, weil die Zeit, in der wir Agierende waren, die siebziger Jahre waren. In den achtziger Jahren saßen die meisten von uns im Knast.
Geht es um die Aufarbeitung der neueren Geschichte, oder ist das Ziel nicht vielmehr zu diskutieren, wie unter veränderten Bedingungen eine neue linksradikale Politik auszusehen hätte?
Mayer: Ohne die Aufarbeitung der in den siebziger Jahren gemachten Erfahrungen müßte eine neu entstehende linksradikale Bewegung wieder ganz von vorne anfangen. Es muß möglich sein, sich auf die Fehler ebenso wie auf die positiven Erfahrungen beziehen zu können.
Was sind die positiven Erfahrungen?
Mayer: Die Veranstaltungen sollen dazu beitragen, das herauszuarbeiten. Gegenwärtig befinden wir uns in einem Zwischenstadium. Eine Epoche ist abgeschlossen, sie ist aber noch gar nicht richtig bewertet oder aufgearbeitet. Dem gegenüber steht, daß neue Linien, Bewegungen oder Tendenzen noch nicht erkennbar sind. Wir müssen auch sehen, daß wir auf viele Fragen keine Antworten haben. Als positive Erfahrung aber bleibt, daß es möglich ist, sich gegen diese scheinbar total formierten Systeme in den hochindustriellen Staaten durchzusetzen und den Herrschenden wie ihren Apparaten Grenzen aufzuzeigen und zu setzen. Das bleibt.
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