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Initialzündung der Studentenrevolte

Heute vor 30 Jahren: Einen Tag nach dem Tod Benno Ohnesorgs in Berlin führte der Besuch des Schahs auch in Hamburg zu schweren Auseinandersetzungen  ■ Von Marco Carini

Überschwenglich dankte der Bürgermeister „seinen“Beamten. „Mit einem großen Einfühlungsvermögen und Mäßigung“, so der Hamburger Stadtchef Herbert Weichmann (SPD), habe die Polizei „für die Ordnung gesorgt“. Doch was Weichmann, die Berliner Auseinandersetzungen vom Tag zuvor vorm inneren Auge, als besonderes Einfühlungsvermögen charakterisiert, beschreibt den härtesten Polizeieinsatz, den die Hansestadt seit Jahren erlebt hatte.

Am 3. Juni 1967, am Tag, nachdem der Student Benno Ohnesorg auf der Berliner Anti-Schah-Demo von dem Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras erschossen worden war, läßt sich Persiens Staatsoberhaupt Reza Pahlewi auch in Hamburg feiern und ausbuhen. Wie in Berlin kommt es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den DemonstrantInnen, in deren Verlauf mehrere Menschen verletzt werden. Da aber, anders als in Berlin, kein Toter zu beklagen ist, gerät die Demonstration, die auch in Hamburg als Initialzündung für die StudentInnenrevolte wirkt, schnell in Vergessenheit.

Am 3. Juni haben sich mehrere Tausend HamburgerInnen auf dem Rathausmarkt und in der Nähe der Staatsoper eingefunden. Die einen, um den persischen Monarchen frenetisch zu bejubeln, die anderen – vor allem Studierende –, um ihrer Wut über das Schah-Regime und die „Hinrichtung“des 26jährigen Ohnesorgs mit Sprechchören wie „Mörder, Mörder“Ausdruck zu verleihen. Stundenlang bleibt es trotz der aufgeladenen Stimmung ruhig. Erst am Abend, als die internationalen Reporterteams längst ihre Arbeitsutensilien zusammengepackt haben, geht die Polizei unvermittelt gegen die Schah-GegnerInnen vor.

„Berittene Polizei ging ohne vorherige Warnung gegen das Publikum vor“, gibt etwa die damalige Studentin Andrea Wieland, die sich am Abend in der Nähe des Gänsemarktes aufhielt, wenige Tage nach dem Schah-Besuch zu Protokoll. Die berittene Polizei sei „mit ihren Pferden rücksichtslos in die Menschenmenge“hineingeprescht, „die keine Möglichkeit zum Ausweichen“gehabt habe. Mehrere DemonstrantInnen seien „brutal niedergeritten“worden.

Auch der Schriftsteller Peter Rühmkorf wird Augenzeuge der Beamten-Übergriffe. „Ohne ersichtlichen Grund und ohne daß eine Vorwarnung zu hören gewesen wäre“seien Polizisten nahe der Staatsoper „mit gezogenen Gummiknüppeln gegen die Menge“vorgegangen und hätten sich auf die zu Fall gekommenen DemonstrantInnen gestürzt, berichtet der Literat kurz nach den Ereignissen.

Auch zahllose andere DemonstrantInnen erzählen, wie die „Ordnungshüter“zu Fuß und zu Pferd knüppelschwingend gegen Schah-GegnerInnen vorgingen, daß sich die Prügel-Polizisten stets weigerten, ihre Dienstnummern rauszurücken, und Festgenommene ohne Begründung oft länger als 24 Stunden festhielten.

Für viele StudentInnen ist es der erste Körper-Kontakt mit der Staatsgewalt. Ein Kontakt, der nicht folgenlos bleibt: Obwohl der Vietnam-Krieg schon seit 1965 zur Radikalisierung vieler Studierender beigetragen hat, sind es vor allem der Tod Ohnesorgs und die Hamburger Polizei-Übergriffe, die auch in der Hansestadt vor 30 Jahren die Hochphase der universitären APO einläuten.

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