: Die wahre Künstlichkeit
■ Frauenfeindin, Feministin oder Drag Queen? Die Berliner Selfmade-Diva Desiree Nick hat es auf jeden Fall geschafft und legt jetzt auch ihre Memoiren vor
Eine wie Désirée Nick hatte in Deutschland eigentlich immer schon gefehlt: eine Frau mit Glamour und Sex-Appeal und dabei so zotig und böse, wie es sonst nur Tunten sein können. Erst wurde sie zum Star der Berliner Subkultur und Schwulenszene, dann feierte man sie bundesweit als Königin der Geschmacklosigkeit, und jetzt legt die 37jährige bereits ihre Autobiographie vor.
Es begann im Sommer 1993 mit ihrem ersten Soloprogramm im Kellerlokal „Zosch“, gleich um die Ecke vom Ostberliner Straßenstrich an der Oranienburger Straße. Aufgetakelt stand sie da, Nutte, Barschlampe und verkommener Altstar in einem, mit dem Gesang war's nicht weit her, dafür um so mehr mit ihrem frechen Mundwerk und den großzügig offerierten weiblichen Reizen.
„Eine Frau wird erst schön durch die Liebe“ – als Gegengift zum soeben gefloppten „Marlene“-Musical von Friedrich Kurz gemeint, warb Désirée Nick für ihre Show als verheulte Dietrich und mit einem blutigen Tampon auf dem Plakat und ließ es dann auch im Programm selbst an nichts fehlen. In ihrer Mischung aus Stand-Up-Comedy, Kabarett und Diseusen-Persiflage war sie schon damals das, als was die taz sie dann bald erkannte: die Erfinderin des Damenwitzes.
Die Rolle der schamlosen Giftspritze mit Sex-Appeal und jeder Menge Obszönitäten im Repertoire liegt Désirée Nick, paßt zu ihr und wird ihr auch geglaubt: „Manche denken tatsächlich, ich würde morgens schon mit angeklebten Wimpern und im Lurex-Overall Kaffee kochen.“ Show-Diva und Karikatur einer Show-Diva zugleich, trägt sie aber auch ihre Sehnsucht nach einem Leben in Samt, Seide und Paillettenglanz zur Schau. „Das Künstliche ist der Schlüssel zur ewigen Wahrheit“, sagt sie, und: „Wenn ich Realismus will, fahre ich mit der U-Bahn.“
Dem ersten Soloprogramm folgte „Hollywud, ick komme“. Vom Ostberliner Straßenstrich aus tourte die Nick durch die Republik, trat auch bei Bio auf und letzten Sommer in Berlin bereits im Charlottenburger Renaissance-Theater. „Was bleibt, ist die Schande“ hieß die Show, Nick war im sechsten Monat schwanger und stellte sich mit dem Handspiegel Diagnosen: „Der Mutterkuchen hat sich schon gesenkt.“ Manche empfinden Désirée Nick als unerträglich frauenfeindlich, andere als die einzig wahre feministische Entertainerin, während der Rest sie noch immer für eine Drag Queen hält oder auch einfach nur für geschmacklos.
„Es erfordert viel Intelligenz, so eine dumme Figur wie meine Bühnenfigur darzustellen, und es bedarf eines sehr guten Geschmacks, um zur Königin der Geschmacklosigkeit geadelt zu werden“, sagt Désirée Nick, die zu Hause die stilvolle Eleganz eines bürgerlich- konservativen Umfelds liebt. Eigentlich ist sie ein Star wider Willen. Erst scheiterte eine Ballettkarriere an der Deutschen Oper Berlin, als sie über die 1,80-Meter- Grenze hinausschoß. Dann machte sie aus Wohnungsnot eine Ausbildung zur katholischen Religionspädagogin (der Dienstwohnung wegen) und sorgte an ihren freien Tagen als Stammgast und Lokalmaskottchen im Berliner Travestietheater Chez Romy Haag für Stimmung. Dazwischen Paris, München, London, mehrfach platzende Träume von Mann und Kind, Innenausstatterin aus Gelegenheit, und wieder Berlin, wo sie erst einen Altenpflegejob machte und dann ihre schauspielerischen Ambitionen entdeckte. Aber alle rieten ihr ab, denn sie war 30 Jahre alt, hatte einen S-Fehler und keine gute Stimme („Mein Techniker singt ja besser als ich“).
Doch die Nick blieb dran, sprach vor, trat ab, sprach wieder vor, tingelte, kam wieder nach Berlin und gab nicht auf. Heute ist sie ungeheuer stolz darauf, sich bei niemandem bedanken zu müssen. Mit Witz und dem Charisma der Unverschämtheit behauptet sie sich auf der Bühne, eigentlich ohne irgend etwas besonders gut zu können. Eine Jederfrau mit dem Willen zum Erfolg – nicht zuletzt ist es der Mut, den man an ihr am meisten bewundert. Rollenmotor ist das doppelte Sendungsbewußtsein, sich im Showbiz einen Platz zu verschaffen, indem sie Deutschland zu einem Star verhilft. „Ich muß jetzt eben die Kohlen aus dem Feuer holen, nachdem Frau Lemper versagt hat“, sagt sie privat, aber fast schon wieder in der Rolle. „Stell dir mal vor, ich würde auch noch so singen! Mit so einer Stimme, so einem Tanzvermögen! So zu versagen wie die Lemper – das ist auch eine Kunst.“
Nick, die Diva, und Nick, die Bürgerliche, allein lebend mit ihrem Sohn, der im September letzten Jahres geboren und Oscar genannt wurde, falls es mit einem Film-Oscar für Désirée Nick doch nie klappen sollte. „Oscar ist das Kind meiner großen Liebe“, erzählt sie, wobei es zur Heirat leider nicht gekommen sei. Es ist nicht die einzige unerfüllte Sehnsucht der Désirée Nick, die auch allen Ernstes von blaublütigen Männern und Landgütern träumt. „Aber solche Männer, wie ich sie mir wünsche, würden sich nie mit einer Nick abgeben, die auf der Bühne die Schlampe gibt...“ – irgendwie ist es auch eine tragische Situation.
Ein bißchen weltläufigen Glamour bringt immerhin ihr Busenfreund, der Modemacher Wolfgang Joop, ins Leben. Wenn man ihr Glauben schenken darf, war's eine (platonische) Liebe auf den ersten Blick, und Wolfi läßt sie dann auch schon mal mit dem Privatjet zur Ferienresidenz abholen.
In den vergangenen Monaten hat die Diva nun auch ihre Memoiren verfaßt. Gemeinsam mit ihrem Koautor Volker Ludewig packt sie aus. Im Zweifelsfalle ist das Unglaubwürdigste die Realität: „Man kann ja ohnehin soviel fiktiven Mist erzählen, wie man will, es liegt doch immer eine tiefere Wahrheit drin. Das ist ein bißchen wie in der Bibel.“
Überfliegt man das eher etwas langweilige Kapitel zur Familiengeschichte, offenbart sich Nick als geistreiche Analytikerin des Showgeschäfts, als schlagfertige Erzählerin, aber auch als disziplinierte und stolze Arbeiterin an der eigenen Karriere, die in diesem Buch mehr von sich preisgibt, als ihr lieb sein kann. Streng liest sie auch ihren künstlerischen Weggefährten die Leviten. Rosa von Praunheim, in dessen Film „Neurosia“ sie mitgespielt hat, kreidet sie besonders an, daß er sie bei einer ersten Begegnung abblitzen ließ. Deutliche und keineswegs nur vorsätzlich bösartige Worte hat sie auch für Inge Meysel, Romy Haag und die Travestieszene sowie für den Berliner Kleinkunsttempel Bar jeder Vernunft, weil man auch da ihrem Talent mißtraute: „Die Bar jeder Vernunft ist eben doch für die Kultur nur das, was Malen nach Zahlen für die bildende Kunst ist.“
„Ich denke, ich bin erst am Anfang meiner Karriere. Das Ideal dessen, was mir vorschwebt, ist noch weit entfernt von dem, was ich jetzt mache: ein richtig großer, glamouröser deutscher Showstar!“ Warum, sagt sie, sollte es denn keine deutsche Bette Midler oder Shirley Bassey geben? Wenn das klappt, klappt's vielleicht doch noch mit dem richtigen Oscar. Und wenn nicht: „Ich werde immer eine Entertainerin bleiben, ganz gleich, auf welchem Niveau.“ Axel Schock
Désirée Nick/Volker Ludewig: „Bestseller einer Diva. Seit Jahren vergriffen“. Knaur, 333 S., 14,90 DM. Buchpremiere am 14.6., 16 Uhr, im Renaissance-Theater Berlin. Danach auf Deutschland-Tour mit der „Show zum Buch“
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