: Nehmt die Flüchtlinge, dann gibt's Kredite
■ Mit Hilfszusagen könnte Bonn ein Rückführungsabkommen erreichen
Seine Heimstatt nennt er arabisch al-bayt. Das heißt Haus, Wohnung, aber auch Zuhause. Doch wo sein Zuhause eigentlich ist, weiß Ghassan* nicht. Der 18jährige ist Palästinenser, geboren und aufgewachsen ist er im Libanon, 1993 floh er nach Deutschland. Seitdem lebt er in einem Wohnheim der Diakonie im Berliner Stadtteil Wedding: al-bayt – derzeit Ghassans Zuhause. Doch die Berliner Ausländerbehörde will ihn in den Libanon zurückschicken.
Ende April erhielt der Palästinenser ein Schreiben des Landeseinwohneramtes. Darin heißt es: „Im Hinblick auf ein Rückführungsabkommen mit dem Libanon und ein dazu gehörendes Rückführungsprotokoll, das voraussichtlich bis Ende Juni unterzeichnet sein wird, müssen wir Sie davon in Kenntnis setzen, daß ihnen heute die Duldung letztmalig für drei Monate erteilt wird.“ Ghassan fürchtet, jederzeit von der Polizei abgeholt zu werden.
Den Libanon hat Ghassan nach eigener Darstellung aus politischen Gründen verlassen. Der im Libanon omnipräsente syrische Geheimdienst hatte ihn drei Monate in eines seiner Gefängnisse gesteckt. Als Ghassan wieder freikam, erkundigten sich die libanesischen Behörden nach ihm. Ghassan erfuhr, daß sein Name am Flughafen auf der schwarzen Liste stünde. Für umgerechnet 700 Mark Bestechungsgeld verhalf ihm ein Flughafenangestellter dennoch zur Flucht nach Deutschland.
Dort machte er einen Sprachkurs und den Hauptschulabschluß, selbst eine Lehre als Maler hatte Ghassan in Aussicht. Doch dann kam der Brief vom Landeseinwohneramt und – so Ghassan: „Ohne Duldung keine Ausbildung.“
Flüchtlingshilfsorganisationen sind über das Schreiben verblüfft, das wortgleich an zahlreiche libanesischstämmige Palästinenser in Berlin ging. Zwar kursierten seit Ende letzten Jahres Gerüchte, Libanon und die Bundesregierung würden über ein Abschiebeabkommen verhandeln. Doch weil die libanesischen Behörden eigentlich Palästinenser lieber loswerden wollen, anstatt neue aufzunehmen, glaubte man nicht an eine baldige Unterschriftsreife. Selbst im Bonner Auswärtigen Amt heißt es, Berlin sei im Vergleich zu anderen Bundesländern „mal wieder sehr eifrig“. Der Berliner Flüchtlingsrat wirft der Ausländerbehörde nun vor, ein Abkommen zu exekutieren, „das noch gar nicht ausgehandelt ist.“ Das Bonner Innenministerium hüllt sich auf Anfragen in Schweigen.
Beobachter registrierten in den letzten Monaten intensive Reisediplomatie zwischen Bonn und Beirut. Zuerst kam Libanons Präsident Rafik Hariri, dann folgten zahlreiche seiner Minister. Nach politischen Gesprächen fogten geschäftliche. Hinter Italien und den USA war Deutschland im vergangenen Jahr der drittwichtigste Handelspartner des Landes. Für sein bombastisches Wiederaufbauprogramm „Horizon 2000“ hat Präsident Hariri bis zum Jahr 2007 öffentliche Investitionen in Höhe von 15 Milliarden US- Dollar eingeplant. Deshalb muß das Land um Kredite zu günstigen Konditionen betteln und sogar um nicht rückzahlbahre Zuschüsse. Eventuelle Geberländer sollten „Hilfe für spezielle Sektoren zusagen“, erklärte der Generalsekretär des Rates für Entwicklung und Wiederaufbau, Nuhad Barudis, im vergangenen Jahr, „und ihre Bedingungen nennen. In bilateralen Verhandlungen werden wir dann die Details festlegen.“ Flüchtlingshilfsorganisationen hegen den Verdacht, daß das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge Teil eines solchen umfassenden Handels werden könnte.
Kernstück des neuen Abkommens ist die Paßfrage. Die aus dem Libanon nach Deutschland gekommenen Palästinenser haben entweder überhaupt keine Papiere oder sogenannte „Libanesische Reisedokumente für Palästinenser“, doch die sind mittlerweile abgelaufen und werden von libanesischen Diplomaten nicht verlängert. Auf Drängen der deutschen Behörden war Ghassan mehrfach beim libanesischen Konsulat. „Die haben mir gesagt, ich solle mich an die palästinensischen Behörden wenden, und mich rausgeschmissen“, berichtet er. Doch die palästinensische Autonomiebehörden in Gaza fühlen sich für die Flüchtlinge im Libanon nicht zuständig. Schließlich wandte sich Ghassan an die UN-Palästinenserhilfsorganisation UNRWA im Libanon. Er bekam eine schriftliche Bestätigung, als palästinensischer Flüchtling im Libanon registriert zu sein. Doch das Schreiben war auf arabisch und englisch verfaßt. Die Berliner Behörden bestanden auf einer Übersetzung. Und als die endlich vorlag, lehnten die Beamten das Dokument ab, weil es – wie bei UNRWA-Identitätspapieren üblich – kein Paßbild enthielt.
Nun wartet der 18jährige darauf, daß sich Libanesen und Deutsche darauf einigen, wie er dennoch abgeschoben werden kann. Das Verfahren könnte analog zu dem derzeit gegenüber libanesischen Staatsbürgern praktizierten funktionieren. Seit Monaten werden jeden Donnerstag fünf bis sechs Libanesen in einem Direktflug von Berlin nach Beirut geschafft. Flüchtlingshilfsorganisationen berichten, häufig würden sie zuvor von deutschen Beamten gegen ihren Willen zum libanesischen Konsulat gebracht, wo ihnen Papiere ausgehändigt werden. Thomas Dreger, Berlin
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