: gay meets grey
Wenn der Christopher Street Day zusammenfällt mit den Hamburger Alzheimer-Tagen, dann paßt eine Aufführung des Theaterstücks Du bist meine Mutter wie der Stützstrumpf ums dicke Bein. Erzählt doch der Einakter des Holländers Joop Admiraal von einem schwulen Schauspieler, der seine an Gedächtnisschwund leidende Mutter jeden Sonntag im Pflegeheim besucht. Das weh(r)theater Hamburg, das mit einer Inszenierung des Stücks derzeit im Altonaer Theater gastiert, entschloß sich geistesgegenwärtig, im Rahmen der beiden Veranstaltungen eine Sondervorstellung anzusetzen, die als Benefiz zu gleichen Teilen Hamburg Leuchtfeuer und der Alzheimer-Gesellschaft zugutekommen sollte. Man wollte mehr als Theater: Die Begegnung zwischen Alt und Schwul auf der Bühne sollte im Publikum dadurch begünstigt werden, daß die Aufführung in einem Pflegeheim stattfindet.
Soweit die guten Ideen. Das wirkliche Leben ist etwas tragikomischer. Die Alzheimer-Gesellschaft, anfangs begeistert vom „gay meets grey“-Plan, erinnerte sich plötzlich, bereits im letzten Jahr ein Video gezeigt zu haben, in dem eine alzheimerkranke Frau von ihrer lesbischen Tochter gepflegt wurde. Und was zuviel ist, ist zuviel – selbst zuviel Minderheit. Die Spende wurde ausgeschlagen.
Heute, Mittwoch und Freitag ist das Stück also wieder ganz normal im Altonaer Theater zu sehen. Ein Besuch lohnt, denn Achim Konrad, der am Konservatorium in Wien lernte, gelingt eine bravouröse Schauspielerleistung. Er spielt, wie von Admiraal vorgesehen, Sohn und Mutter. Das junge Niveagesicht verwandelt sich durch Herabfallen der Mundwinkel überzeugend in ein schlaffes Faltengesicht. Ohne Gehstock oder andere Peinlichkeiten nimmt Conrad die Haltung der Alten an (Regie: Bernd Sass). Unverständlich bleibt indes die Aufregung um das Stück: Es dauert eine Stunde, bis der Sohn anmerkt, lieber ein Mädchen geworden zu sein. Und schon geht's weiter mit senilem Geplapper über unschuldige Kindergesichter und verstorbene Verwandte. Einen dramatischen Konflikt kann man das nicht eben nennen. Gelungenes Schauspielertheater schon.
Christiane Kühl
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