: Schuldspruch für Polizei-Selbstjustiz
■ Zwei Polizeiobermeister wegen unerlaubter Abgabe von Heroin und Freiheitsberaubung zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Gericht: Falsche Spuren gelegt und Lügen aufgetischt. Kollegen empört
Den 14 Zivilbeamten im Zuschauerraum fiel die Kinnlade herunter, als vor der 6. Strafkammer des Landgerichts gestern das Urteil gegen ihre beiden Kollegen erging: zwei Jahre auf Bewährung für die 36 bzw. 26 Jahre alten Polizeiobermeister Detlef W. und Andreas H. wegen unerlaubter Abgabe von Heroin, Freiheitsberaubung, Verfolgung Unschuldiger und falscher Verdächtigung. Wenn der Schuldspruch rechtskräftig wird, müssen die Angeklagten ihren Beruf an den Nagel hängen.
Es gebe keinerlei Rechtfertigung dafür, daß Beamte im „Erfolgsrausch“ derart ihre Kompetenzen überschritten, stellte der Vorsitzende Richter Heinz Holzinger fest. Die Gerichte seien auf das korrekte Verhalten der Polizei angewiesen. In dem Verfahren seien Lügen aufgetischt und falsche Spuren gelegt worden, Kollegen hätten als Zeugen „aus falscher Kollegialität gemauert“ und Unkorrektheiten „abgeschirmt“. Diesen Satz richtete Holzinger vor allem an die Adresse eines Beamten, der unter den Zivilpolizisten im Zuschauerraum saß.
Das Gericht sah es als erwiesen an, daß die als Zivilstreife eingesetzten Beamten am 2. November 1995 einen Kleindealer unter Druck gesetzt hatten, ihnen einen Großdealer ans Messer zu liefern. Aus Angst vor einem Widerruf seiner Bewährungsauflage ließ sich der 28jährige Türke Mezat B. auf die Anbahnung eines Scheingeschäftes ein und bestellte bei dem türkischen Spediteur Xafer I. eine Lieferung von 50 Gramm Heroin. Bei der Übergabe schnappten bei dem Großdealer und dessen Schwager die Handschellen zu. Der Denunziant erhielt von den Polizisten 20 Gramm Heroin als Belohnung. In der Wohnung des inzwischen zu 7 Jahren Haft verurteilten Xafer I. wurden 1,7 Kilo Heroin gefunden. Kurz darauf nahmen andere Fahnder den Kleindealer Mezat B. mit 8 Gramm Heroin fest. Jener packte aus und erzählte, daß die 8 Gramm Heroin die Restmenge des von „Andy und Detlef“ ausgehändigten Stoffs seien.
Die Aussage des Türken wäre vermutlich nicht weiter beachtet worden, wenn die Kripo nicht auf eine Fülle von Ungereimtheiten in den Berichten der Zivilbeamten Andreas H. und Detlef W. über Xafer I.s Festnahme gestoßen wären. Die beiden widersprachen sich nicht nur hinsichtlich der beschlagnahmten Heroinmenge. Merkwürdig war auch, daß sie erklärten, der jeweils andere habe den Schwager des Beschuldigten durchsucht und bei diesem 13 Gramm Heroin gefunden. Der Mann schmorte daraufhin drei Monate unschuldig in U-Haft, bis sich herausstellte, daß er gar keinen Stoff besessen hatte – die übereifrigen Fahnder hatten ihm den Stoff in der Strafanzeige einfach untergeschoben.
Diese Freiheitsberaubung schlug im Urteil wesentlich stärker für die Angeklagten zu Buche als die unerlaubte Abgabe des Heroins. Den Kleindealer so zu belohnen sei zwar „schlecht“, aber getreu dem Motto „Der Erfolg heiligt die Mittel“ nachvollziehbar, sagte der Vorsitzende Richter Holzinger. Aber einem Festgenommenen „Rauschgift unterzujubeln und Richter und Staatsanwaltschaft zu täuschen ist schon ein starkes Stück“.
Auf dem Gang machten Kollegen der Angeklagten ihrer Empörung Luft: Andreas H. und Detlef W. hätten nach dem Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ freigesprochen werden müssen. Das „weltfremde“ Urteil sei ein Freibrief für Junkies und Dealer zur Denunziation von Zivilpolizisten. Jetzt würden sie nicht nur ständig gefragt, ob sie am 1. Mai „vermummt“ gewesen seien, sondern auf der Szene auch noch „nach Stoff angehauen“, schimpfte einer. Plutonia Plarre
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