piwik no script img

Auge um Auge, Schwanz um Schwanz

■ Die Suche nach dem richtigen Schweinehund oder: Kann man einen Massenmord rächen? Ein jüdischer Roman aus Finnland – Daniel Katz' „Der falsche Hund“

Aus Finnland kennt man hierzulande höchstens die Brüder Kaurismäki und ihre rebellischen Filmgestalten. In der Literatur haben allerdings die Nordeuropäer im Moment Konjunktur, und nach den Dänen mit ihrem Gespür für Schnee kann man auch ab und zu finnische Autoren entdecken. Einer ihrer besseren heißt nicht nur Daniel Katz, sondern ist tatsächlich Jude.

Sein vierter, auf deutsch erschienener Roman handelt von einer Spurensuche und einer Rache, die nicht so recht gelingen will. Mauri Pertuska ist Turnlehrer, sein toter Vater war Geschäftsmann und vor dem Krieg Zirkusclown. Seine deutsche Geliebte hat er bis 1936 im ostdeutschen Eggenow getroffen und nicht mehr retten können. Mauris Freundin ist bei einem Motorradunfall gestorben, er erfährt, daß er Krebs hat, und zuletzt erzählt ihm ein Neonazi in seiner Stammkneipe, daß die KZs eine Erfindung der Juden seien. Mauri beschließt, Rache zu nehmen. Stellvertretend für seinen Vater und alle ermordeten Juden will er ihn erschießen, bevor er sich selbst umbringt. Aber dann gesteht ihm der „Igelkopf“, der an die Überlegenheit seiner Rasse glaubt, daß er selbst schwer krank ist, während doch die „Untermenschen“ vor Gesundheit nur so strotzen.

Mauri fährt nach Deutschland, bis nach Eggenow, wo er an dem alten Wirt Rache nehmen will. Und wieder gelingt sie ihm nicht so recht. Dem alten Pertuska hatte der Wirt damals nicht nur ein Vermögen gestohlen, sondern auch einen Schweineschwanz geschickt, eine tödliche Beleidigung für einen koscheren Juden. Der junge Pertuska schneidet dem Schäferhund des Wirts den Schwanz ab und schickt ihn ihm. „Auge um Auge, Schwanz um Schwanz“, hätte die Thora (Buch Schemoth) dazu wohl gesagt. Aber ist das der richtige Weg? Kann man einen Massenmord überhaupt rächen?

Katz behandelt dieses Thema erstaunlich selbstbewußt und ironisch. Irgendwie ist alles nicht so, wie es sich für einen einsamen Rächer gehört: Er verliebt sich in die Enkelin des Wirts und verbrüdert sich mit den deutschen Dorfbewohnern beim Saufen. Seine Freundin Vanessa, die ihr Geld als Hexe verdient, weissagt ihm vorsichtshalber immer gleich mehrere Alternativen, die Enkelin des Naziwirts kann fließend Finnisch, und „Igelkopf“ ist nicht nur todkrank, sondern auch beschnitten: „Wenn jetzt eine Schar SS-Männer in den Duschraum gestürzt wäre, wen hätten sie wohl mitgenommen?“ Pertuska, den Sohn eines Juden, nicht beschnitten, weil der Vater nicht mehr gläubig war, oder den Neonazi?

Katz erzählt diese sich in immer neuen Drehungen verwirrende Geschichte mit epischem, sarkastischem Humor und immer neuen Rückblenden. Es gibt anrührende Passagen in „Der falsche Hund“, romantische Liebesgeschichten und verdrehte Unterhaltungen mit einem selbstironischen jüdischen Humor, der auf jede Frage erst einmal mit einer Gegenfrage antwortet. Den richtigen Schweinehund findet Mauri nicht, und er bleibt auch nicht der Lone Ranger, denn schließlich geht auch für ihn das Leben weiter. Georg Patzer

Daniel Katz: „Der falsche Hund“. Roman. Deutsch von Gisbert Jänicke. Luchterland Verlag, München 1997, 380 Seiten, 42 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen