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Sechseinhalb Jahre Haft für Laborarzt

■ Günther E. hatte unzureichend getestete Blutspenden freigegeben. Eine Frau war dadurch im vorigen Jahr an Aids gestorben. Das Landgericht Göttingen sah darin eine vorsätzliche Körperverletzung

Göttingen (AFP/taz) – Im Prozeß um aidsverseuchte Blutkonserven hat das Landgericht Göttingen einen Laborarzt zu einer Freiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt. Die Richter befanden Günther E. gestern für schuldig, durch die Freigabe unzureichend getesteter Blutspenden Infektionen wissentlich und willentlich in Kauf genommen zu haben. Den Tod einer Empfängerin von Blutkonserven im vergangenen August wertete das Gericht als vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge. Außerdem verurteilte es den 56jährigen wegen uneidlicher Falschaussage sowie wegen des vorsätzlichen In-Verkehr- Bringens bedenklicher Arzneimittel in 129 Fällen.

Dem Gericht zufolge hatte die Firma Haemoplas in Osterode bei Göttingen allein von 1989 bis 1993 5.831 Chargen Blutplasma mit über 200.000 Konserven an mehr als 60 Kliniken in Westdeutschland ausgeliefert, obwohl sie zu annähernd 90 Prozent nicht auf Aids- Antikörper getestet waren. Seit Oktober 1985 ist dies aber für jede einzelne Blutspende vorgeschrieben. Der angeklagte Laborarzt war bei dem Unternehmen als Kontrolleiter angestellt und hatte die Konserven als geprüft freigegeben. Das Gericht beschränkte sich bei der Beweisaufnahme auf die Überprüfung eines Krankenhauses in Göttingen. Dorthin waren nach den richterlichen Recherchen innerhalb kurzer Zeit 129 unzureichend getestete Lieferungen mit jeweils einer bis 58 Konserven geliefert worden.

In den Jahren 1986/87 war wegen der unzureichenden Tests ein aidsinfizierter Blutspender aus Braunschweig unbemerkt geblieben. Die 15 Spenden des 33 Jahre alten, drogen- und tablettenabhängigen Mannes waren nach den richterlichen Feststellungen nicht auf Aids-Antikörper untersucht worden; dennoch habe E. den Aidstest als „negativ“ bescheinigt. Das Blut wurde in 21 Beuteln an Krankenhäuser in Duisburg, Esslingen, Hanau, Mannheim und München geliefert und bei Operationen an 13 Patienten abgegeben. Eine Patientin in München starb nach mehrjährigem Leiden im August 1996 an Aids, eine Frau in Duisburg ist inzwischen schwer erkrankt, lebt aber noch.

Die anderen Patienten sind nach den Angaben ihrer Ärzte an ihren Grundkrankheiten und damit nicht an Aids gestorben. Die Göttinger Richter sahen hier den Straftatbestand der gefährlichen Körperverletzung, der aber bereits verjährt sei.

Die Staatsanwaltschaft wertete die tödliche Blutspende als Mord, alle anderen 5.831 unzureichend getesteten Lieferungen als Mordversuch. Demgegenüber sah die Verteidigung in allen Fällen allenfalls eine fahrlässige Schuld. Nach 95 Verhandlungstagen mit 100 Zeugen und 40 Sachverständigen bejahte das Göttinger Landgericht den Verletzungsvorsatz, nicht aber den Tötungsvorsatz. Für letzteren bestehe nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe „eine viel größere Hemmschwelle“.

E. hat bereits eine gut zweieinhalbjährige Untersuchungshaft hinter sich. Sofern er, wie üblich, zwei Drittel seiner Strafe verbüßt, müßte er nach dem Göttinger Urteil noch knapp zwei Jahre ins Gefängnis. Vor dem Bundesgerichtshof will die Verteidigung allerdings eine geringere Strafe erreichen; es sei unzulässig, in jedem Fehlverhalten Vorsatz zu sehen. Die Staatsanwaltschaft wollte prüfen, ob sie am Mordvorwurf festhalten und eventuell in die Revision gehen wolle (AZ: 6 Ks 13/95).

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