: Sechseinhalb Jahre für Laborarzt
■ Landgericht Göttingen verurteilt Mediziner wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Tod zumindest einer Aidskranken verschuldet. Blutkonserven sieben Jahre lang immer wieder nicht auf HIV getestet
Göttingen (taz) – Zu sechseinhalb Jahren Haft wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge und Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz hat das Landgericht Göttingen gestern den Laborarzt Günter E. verurteilt. Er ist für mindestens 14 Aidsinfektionen durch verseuchtes Blutplasma verantwortlich.
Die Sechste Große Strafkammer des Landgerichts sah es als erwiesen an, daß der 56jährige Arzt in den Jahren 1986 bis 1993 ihm zur Untersuchung zugesandte Blutproben „aus Kostengründen“ nicht auf den Aidserreger testete, diese anschließend aber als HIV- negativ klassifizierte. Dadurch habe der Arzt bewußt und gewollt für die Freigabe nicht getesteter Blutsera gesorgt und nachweislich 14 Patienten mit dem HIV-Erreger infiziert, begründete der Kammervorsitzende Reiner Finke gestern das Urteil. Die Staatsanwaltschaft hatte für den Angeklagten, der zwischenzeitlich zweieinhalb Jahre in Untersuchungshaft saß, noch eine lebenslängliche Haftstrafe wegen Mordes und 13fachen Mordversuches beantragt. Verurteilt wurde der Laborarzt aus Wuppertal gestern aber nur für den Tod einer Patientin, die sich die Aidsinfektion während einer gynäkologischen Routineoperation zugezogen hatte.
Anders als die Staatsanwaltschaft wertete das Gericht die insgesamt 14 nachgewiesenen Aidsinfektionen lediglich als gefährliche Körperverletzung. Daher seien 13 Fälle bereits verjährt gewesen, als im Herbst 1993 die Ermittlungen gegen den Arzt aufgenommen wurden, sagte Richter Finke. Nur für den Tod der einen Patientin, die nachweislich an ihrer Aidsinfektion verstorben sei, könne man den Angeklagten heute noch zur Rechenschaft ziehen.
Richter Finke bezeichnete den Laborarzt als ausgewiesenen Fachmann, der auch 1986 schon um das Aidsrisiko durch nichtgetestetes Blut wissen mußte. Einen bedingten Tötungsvorwurf und damit den Tatbestand des Mordes habe man dem Angeklagten in der Hauptverhandlung allerdings nicht nachweisen können. 1986 oder 1987 sei noch nicht klar gewesen, „daß jede Aidsinfektion auch zum Ausbruch der Krankheit führt“.
In welchem Umfang der Arzt finanziell von seinen Taten profitiert hat, ist nicht gänzlich geklärt worden. Für die Firma Haemoplas, deren Blutproben er auf HIV testen sollte, fungierte er pro forma als Kontrolleiter und erhielt zwischen 3.000 und 9.000 Mark im Monat. Bis der niedersächsische Rechnungshof dies monierte, wurden Blutproben der Firma zunächst in der Medizinischen Hochschule Hannover auf Staatskosten getestet. In diesem Zusammenhahg verlor der heute 56jährige seinen Job und trat dann als Mitgeschäftsführer in eine Laborpraxis ein. Für die Blutproben von Haemoplas, die dann dort jahrelang nur lückenhaft getestet wurden, stellte der Angeklagte offiziell nur wenige Mark in Rechnung, obwohl schon damals ein einzelner Aidstest 45 Mark kostete. Die Einlassung des Angeklagten, er habe alle nicht in der Firma getesteten Blutproben bei sich zu Hause in einem Heimlabor untersucht, widerlegte die Sechste Große Strafkammer gestern ausführlich. Sie verurteilte den Angeklagten auch wegen uneidlicher Falschaussage, weil er in einem Zivilprozeß, den die inzwischen verstorbene Patientin gegen Haemoplas führte, das Unterlassen von Tests geleugnet hatte. Schuldig gesprochen wurde er auch wegen Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz in 129 Fällen.(AZ: 6Ks13/95) Jürgen Voges
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