: Fernseh- Geschichte(n)
■ Die ARD und der Deutsche Herbst 77
Natürlich starrt man fasziniert hin.
Das also war Schleyers Volksgefängnis? So also klang der Sound im Krisenstab? Ob im Inneren der entführten Lufthansa-Maschine „Landshut“ oder im 7. Stock der Stammheimer Justizvollzugsanstalt: Wie selbstverständlich zeigt uns die ARD nun all jene Bilder, die wir uns zwanzig Jahre lang nur in unserer Phantasie ausmalen konnten. Je nach politischem Standort waren sie mehr oder weniger grausam, mehr oder weniger gerecht. In jedem Fall aber haben die phantasierten Bilder unser moralisches Urteil beeinflußt.
Die ARD hat 1977 maßgeblich die Ikonographie des Deutschen Herbstes bestimmt. Die „Tagesschau“ brachte die Machtinsignien der RAF unters Volk: die Fotos der toten Leibwächter, die Polaroids des RAF-Gefangenen. Und sie stellte sich in den Dienst des BKA: zeigte Nummernschilder und Fahndungsfotos, verbreitete Falschmeldungen und nicht zuletzt die flehenden Videobänder aus dem „Volksgefängnis“. Man sah Hanns Martin Schleyer in unwürdiger Lage. Das zu zeigen lag im Interesse beider Seiten. Druck auf das Volk sollte ausgeübt werden. Eine Art moderner Öffentlichkeitsarbeit.
Während der medialen „Nachrichtensperre“ hatte die ARD gut zu tun: Ganz selbstverständlich wurde das „Tagesschau“-Studio zur Außenstelle des Kanzleramtssprechers. Hier bekundete der Kanzler am Abend der Entführung seine Haltung gegenüber den Entführern: „Die Tat von Köln ist Mord. Die Täter sind Mörder. Beenden Sie Ihr irrsinniges Unternehmen.“ Auch die Entführer setzten auf Öffentlichkeit. Auf den öffentlichen Druck des Mitleids.
Nun, zwanzig Jahre danach, besetzt die ARD die Bilder des Deutschen Herbstes ein zweites Mal. Ursprünglich hatte das ZDF den Stoff angekauft. „Das Todesspiel“ sollte ein Fernsehfilm werden. Reine Fiktion also. Aber so recht wollte das Werk wohl nicht gelingen. Schließlich schenkte man das Projekt der ARD, und man entschied sich für eine Kompilation aus historischen Dokumenten und phantasierten Spielszenen. Wozu? Damit alle Wahrheit sichtbar wird? Andreas Baader mit der Pistole am Genick. Hanns Martin Schleyer auf Knien vor seinem Mörder. Bilder ohne jeden Zweifel. Vor allem ohne Selbstzweifel. Öffentlich-rechtliche Wahrheiten eben. Klaudia Brunst
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