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■ Nach der Geburt meines Sohnes kam der kreative Push
Ich wurde ziemlich spät Mutter, und ich habe meine berufliche Laufbahn ziemlich spät begonnen – um es gleich zu sagen: ich begann beides zur selben Zeit, mit 35 Jahren. Fragen Sie mich nicht, was ich vorher gemacht habe – ich habe studiert und konnte kein Ende finden. Schließlich machte ich, mit 33 Jahren, meinen Abschluß. Anderthalb Jahre später kam mein Sohn zur Welt. Einen Beruf hatte ich zu dieser Zeit nicht. Ich hatte nur ein Talent und eine Lust: das war Schreiben.
Die Geburt meines Sohnes veränderte meine Persönlichkeit. Ich fühlte mich zu allem imstande. Ich wollte etwas leisten. Ich setzte mich hin und schrieb mein erstes Buch: „Leben mit einem Neugeborenen“. Es begründete meine Laufbahn als Publizistin. Eine Kollegin, die mich einmal über mein Leben befragte, hat mir an dieser Stelle nicht recht glauben wollen. „Wie konnten Sie Ihr erstes Buch schreiben“, sagte sie, „wenn Sie gerade eben ein Kind bekommen hatten?“ „Ohne das Kind“, antwortete ich, „hätte ich das Buch überhaupt nicht schreiben können, es ging doch um dieses Erlebnis. Ich war so erfüllt davon, und ich hätte so gern ein Buch vorgefunden, das mir helfen und zugleich auf meine euphorisch-verliebte Stimmung hätte eingehen können!“
Inzwischen schreibe ich längst nicht mehr nur über Kinder. Ich habe aber nie vergessen, daß es die Geburt meines Sohnes war, die mir den ersten Schub gegeben hat, den ersten Antrieb, aus meiner Neigung einen Beruf zu machen.
Als ich vor einiger Zeit eine Malerin kennenlernte, eine ältere Dame schon, deren vier Kinder längst erwachsen sind, fragte ich sie, ob sie jemals einen Zusammenhang festgestellt habe zwischen Kinderkriegen und schöpferischen Spitzen in der Arbeit. Sie sagte prompt und trocken: „Nach jedem Kind hatte ich einen kreativen Push.“ Ich beneidete sie, daß sie viermal mitgemacht hatte, was ich nur einmal hatte auskosten können, und begriff jetzt, daß mein Wunsch nach einem zweiten Kind auch damit zu tun hatte: zu sehen, wohin es mich diesmal trüge... Aber es hat nicht sollen sein mit dem zweiten Kind, und ich fand mich damit ab. Fast.
Vor 5 1/2 Jahren habe ich mich um die Adoption eines Mädchens beworben – aus dem Ausland, bei einem Verein, der solche Adoptionen streng legal und skrupulös vermittelt. Da ich unverheiratet und nicht mehr jung bin, wären meine Chancen im Inland minimal gewesen. Doch ich habe alle Hürden in Kauf genommen und mich auf nichts so gefreut wie auf dieses Kind. Meine Freunde reagierten sehr unterschiedlich. Manche verstanden überhaupt nicht und fragten: „Warum lädst du dir bloß noch eine solche Verantwortung auf? Sei doch froh, daß der Junge allmählich selbständiger wird.“ Die Frage war und ist berechtigt. Wer meine Lebensweise kannte, mußte sich an den Kopf fassen, wenn er hörte, daß da nun noch ein Kind in all dem Wirrwarr untergebracht werden sollte. Aber ich wußte, daß mir genau diese Erschwernis meiner Lebensumstände zu meinem Glück gefehlt hat. Und inzwischen ist es passiert. Muß ich sagen, daß ich sehr stolz bin auf die Kleine? Daß ich nichts bereue, ja, daß ich es mir schlecht vorstellen kann, wie es vorher, ohne sie, gewesen ist? Es war leichter, ja, aber es fehlte auch eine große Freude. Barbara Sichtermann
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