: Was für ein Job
Fernsehprogramme zu Kulturgütern: Im Rahmen des Europäischen Fernsehfestivals präsentiert das Freiluftkino Bethanien Filme, die kein anständiger Sender wirklich gerne zeigen mag ■ Von Oliver Gehrs
Der Körper ist eine einzige Spalte: Vom Unterleib bis zum Kinn klafft der Schnitt, fehlt eigentlich nur noch ein Reißverschluß. Für den Seziermeister aus Budapest ein alltäglicher Anblick: Jeden Tag schneidet er auf, untersucht, nimmt aus, stopft die Reste wieder rein und näht zu. Was für ein Job.
Und was für ein Film. „Endstation Seziertisch – Der Weg nach Eden“ (18.7., 21.45 Uhr) des ungarischen Regisseurs Robert Adrian Peja geht an die Grenzen des Betrachters. Dabei hält Peja nur die Kamera drauf, wenn der Schlächterbursche akribisch sein Tagwerk verrichtet und nebenbei Anekdoten aus seinem Privatleben erzählt.
Die ARD versteckte den Dokumentarfilm im Dritten Programm des WDR, nun wird er im Rahmen des „Europäischen Fernsehfestivals Berlin“ noch einmal gezeigt. Dessen Veranstalter hatten ja schon im letzten Jahr ein feines Gespür für alles Morbide und Abseitige gezeigt, als sie mit dem österreichischen Dokumentarfilm „Tierische Liebe“ von Ulrich Seidel Herrchens Zungenküsse und Frauchens blow jobs großformatig auf die Leinwand brachten.
Im Gegensatz zu anderen TV- Festivals bemüht sich die Berliner Veranstaltung um unbekanntere TV-Produktionen und hat auf ihren Forschungsreisen so manches filmische Schmuckstück zu Tage befördert, wie z.B. eine TV-Dokumentation über das Leben in estnischen Gefängnissen („In Paradisum“, 4.7., 21.45 Uhr) oder die schwarzen Lars-von-Trier-Stücke „Medea“ (11.7., 21.45 Uhr) und „Epidemic“ (13.7., 21.45 Uhr).
Andere Produktionen liegen bei den TV-Sendern im Giftschrank, weil sie nicht in das Programmschema F wie Fernsehen passen. Ein Schicksal, daß z.B. den „Frauenarzt von Bischofsbrück“ (25.7., 21.45 Uhr) ereilte – eine absurd-trashige Arztserie des Werberegisseurs Roman Kuhn (C&A), die seit fast zwei Jahren bei Pro 7 lagert – weil man ja vielleicht irgendeine Unter-Zielgruppe damit erschrecken könnte.
Auch sonst gibt sich die Festivalleitung dieses Jahr arg humorig. Ob aber die Monthy-Python-Fans, von denen es ja noch einige geben soll, sehr amused sein werden, wenn im Flying Circus plötzlich deutsch, ja gar schwäbisch gesprochen wird (27.7., 21.45 Uhr), darf wohl bezweifelt werden. Gleich 45 Folgen mit der englischen Humortruppe hat Sat.1 synchronisieren lassen, und für wie epochal der Sender dieses Verbrechen hält, zeigt, daß man gestern eine Handvoll Kritiker zur Diskussionsrunde ins Restaurant „Abendmahl“ einlud.
Wer schon aus dem Alter für die Späße von John Cleese und Co. raus ist, sollte sich eh lieber den realsatirischen Elementen des Festivalprogramms widmen, z.B. dem türkischen Fernsehjournalisten Ugur Dündar (kämpft für sie! Und zwar am 8.8. um 21.30 Uhr), der gut getarnt durch die Weltgeschichte hetzt, um diverse Skandale und Skandälchen in bester Wallraff-Manier aufzudecken und sie hernach bildschirmgerecht einem türkischen Millionenpublikum zu präsentieren. Ein echter Ali also, der sogar eigens aus Istanbul anreist, um seine Undercoverstücke im Berliner Regen zu präsentieren.
Überhaupt ist es ja sehr honorig, daß sich die Macher nicht nur auf das bloße Abnudeln der Fernsehstücke beschränken, sondern wo es eben geht Produzenten und Schauspieler auf die Bühne zerren. So kann man vielleicht Bernd Eichinger mal fragen, was er sich dabei gedacht hat, eine peinliche Coverversion von „Das Mädchen Rosemarie“ runterzukurbeln und uns das Ganze als „German Classic“ zu verkaufen. Auch diese unsägliche Reihe wird noch einmal zu sehen sein – zum Trost aber auch die Originale. Es gibt sogar noch ein Gimmick: Zum erstenmal wird im Rahmen der „Televisionen unter freiem Himmel“ die „Nervensäge“ des Jahres für den schlechtesten Werbespot vergeben (25.7., 21.45 Uhr). Anhand verschiedener Kriterien wie Zusammenhanglosigkeit, Klischeeverherrlichung, Schwachsinn oder Perfidität wurde bei Schnittchen und Bier eine völlig subjektive Vorauswahl von zehn Spots getroffen, aus der die zitty-Leser ihre Favoriten aussuchen durften. Als heißeste Aspiranten werden Pampers (je mehr Kinder desto schöner) und Persil gehandelt. Denn „es ist schon komisch, wenn man sein Kind zum erstenmal hergibt“.
Bis zum 8. August auch im Freiluftkino Waschhaus (Potsdam). Weitere Informationen unter 404 48 22
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