■ Welt Weit Grönling: Was für ein Sommer!
Als im letzten Jahrhundert die ersten Eisenbahnzüge durch die Gegend schnaubten, mußte immer einer vorneweg rennen und die Laterne schwenken. Die Leute hatten Angst vor diesen qualmenden und stinkenden Ungeheuern. Und so mancher tapfere Zeitgenosse schwor, sich nie und nimmer in so ein Ding zu setzen und lieber mit der Postkutsche zu reisen.
Mit den ersten Automobilen war es genauso, und auch die Geschichte der englischen Maschinenstürmer ist hinlänglich bekannt. Heute haben wir eine Situation, die damit durchaus vergleichbar ist. Nur sollte man annehmen, daß die Leute in den letzten zweihundert Jahren ein bißchen schlauer geworden sind und erkennen, wann eine Entwicklung nicht mehr aufzuhalten ist. Zum Beispiel das Internet: Als vor ein paar Jahren die Druiden noch unter sich waren, hat es niemand interessiert, was dort vorgeht. Manchmal haben sich pickelige Studenten ein paar Pornobildchen hin- und hergeschoben. Na und, wen hat das schon gestört?
Erst als es plötzlich einen großen Knall gab und das Internet über Nacht zum Massenmedium wurde, interessierten sich plötzlich auch Staatsanwälte, Richter und sogar Regierungen für dieses Teufelswerkzeug aus der Hexenküche der Programmierer. Dummerweise hat keiner von ihnen den Versuch gemacht, das auch nur im Ansatz zu begreifen. Sie sahen weder den Unterschied zwischen den Diskussionen in den Newsgroups und dem primär auf passiven Konsum ausgerichteten WWW, noch haben sie begriffen, daß dieses Medium nicht so einfach kontrolliert werden kann. Als Bill Clinton am 8. Februar 1996 den Communication Decency Act (CDA) unterschrieb, trat er eine Lawine los. Nun ist das erledigt: Der Oberste Gerichtshof der USA hat den CDA für unvereinbar mit dem First Amendment of Rights erklärt. Damit ist das Recht auf freie Rede auch im Internet wieder garantiert. Endgültig und unwiderruflich. Profilneurotiker Clinton hat sich inzwischen die Argumentation der Kritiker zu eigen gemacht und will nun die Weiterentwicklung von Softwarefiltern unterstützen, die es Eltern erlaubt, selbst zu entscheiden, was Kinder beklicken dürfen und was nicht. Inzwischen ist auch das Exportverbot für die 128-bit-Kryptographie gefallen. Jetzt kann jeder ganz legal seine Geheimnisse so verschlüsseln, daß sie mit heutigen Mitteln nicht mehr geknackt werden können. Und noch muß der Schlüssel nicht bei Herrn Kanther abgeliefert werden. Hat irgend jemand behauptet, dies sei ein schlechter Sommer? :-) Dieter Grönling
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