Gemeinschaftskitt für Kinder

Das sehr schön gestaltete Comicheft von Max Goldt und dem Zeichner Katz heißt „Wenn Adoptierte den Tod ins Haus bringen“. Dort gibt es neue Beatles-Legenden und Verhütungstips  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Der Welt beliebt es, auseinanderzudriften, ganz wie es ihr gefällt. Einigkeit ist nur selten zu erzielen. Der eine mag dies, der andere das. Ein arbeitsloser Bekannter liebt „Paul Mc Cartney Live 1993“, ein anderer steht auf 1860 München; einer schaut gerne in die Ferne, wieder ein anderer liebt Chansons am Abend, in denen es ums Alleinsein geht, und weint schön dabei. Nur einen mögen alle: Max Goldt. Seit Jahren liefert er in seinen Titanic-Kolumnen Gesprächsstoff und Gemeinschaftskitt für Tage, die ansonsten der Unterhaltung entbehren würden.

Man diskutiert dann über „Geizoasen“, seltsame Wörter wie „Kulturbundschulung“ oder darüber, ob es wirklich so sei, daß Leute mit interessanten Namen wie Alexander, Wiglaf, Georgia, Henryk, Wigald, Meret, Durs Grünbein oder Nathias notwendigerweise erfolgreich sind, während die normalen Namensträger gleich wieder ins Vergessen fallen. Vermutlich ist es so. Deshalb heißt Max Goldt ja auch Max Goldt.

Ab und an sind die Texte von Max Goldt auch mal nicht so gut. Das stört aber nicht weiter. Und vielleicht ist es gerade das Schöne am Genre der Kolumne, das Lebensähnliche sozusagen, daß ab und an mal was danebengeht. Das macht die Kunstfigur des Autors lebendig. Eher blöde sind allerdings die Wiederverwertungen, die der Autor unternimmt. Die Bücher, in denen seine Kolumnen zusammengepreßt noch mal erscheinen, verraten irgendwie das Genre der Kolumne, die ihren Ort in der Zeit hat. Außerdem fehlen in ihnen die schönen Fotos, die bunten Blümchentapeten, als ginge es nur um Schrift und hohe Literatur.

Das neue Heft oder Album von Max Goldt ist eine Koproduktion. Eine Weile lang hatte der Zeichner Stephan Katz schon „ohne zu fragen“ Texte von Goldt in seinen Comics verwendet und sie dann, übermannt wohl vom schlechten Gewissen, dem Meister geschickt. Goldt fand alles recht schön, vor allem auch, daß Katz aussieht wie Momo aus der „Lindenstraße“. Man tat sich zusammen, schickte Bilder, Ideechen, Worte hin und her, traf sich in „Berlin, Hamburg, Bielefeld, Dresden und Brüssel“, veröffentlichte einiges in Titanic und bündelte die Dinge nun in einem schön gestalteten Heft.

„Wenn Adoptierte den Tod ins Haus bringen“ spielt – wie viele Comics mittlerweile – in einer seltsamen Parallelwelt; einer Parallelwelt, die von frei umherschweifenden Wünschen bevölkert ist; Wünschen, für die es in der durchmedialisierten Gegenwart keine angemessene Sprache mehr gibt. Früher reagierte man auf das Dilemma, in einer Sprache sprechen zu müssen, deren Worte und Begriffe sich als Massenware erschöpft haben, indem man schwieg (wie Hoffmannsthal), indem man auf die Naturkraft des Unbewußten setzte (wie die Surrealisten), indem man sich eine andere Sprache suchte (das Soziologenchinesisch der 68er oder die frühen artifiziellen Texte von Handke) oder indem man aufs herrschende Stammeln mit melancholisch-kunstvollem Stammeln reagierte.

Max Goldt und Katz (und Zeichner wie Fil oder die Filmemacherin Dagie Brundert) stehen eher in der Tradition von Robert Walser. Während sich der Schweizer Dichter klein und nett machte, bauen sie sich nette Parallelwelten, die durchaus komplizierter sind, als es zunächst so scheint. Die kindliche Sprache, in der das alles daherkommt, ist ja sehr gebrochen; sie ist Zitat und zugleich künstliche Regression des blasierten Kindes – regredier, regredier –, das mit ihr spielt. Und sie ist vor allem die Sprache eines Erwachsenen, der sie bewußt benutzt und ab und an auch kleine Schocks verteilt – wenn Kasperle den Kindern von der „Hans-Albers-Spermamethode“ erzählt oder wenn es im Comic „Damengedanken beim Kartonzertrampeln“ heißt: „Auf den Sondermarken steht jetzt nicht mehr ,Deutsche Bundespost‘, sondern dick und fett Deutschland. Auschwitz, ick hör dir trapsen.“

In „Wenn Adoptierte den Tod ins Haus bringen“ trifft man ansonsten auf die „zwei netten Homos“, die Jahr für Jahr zum „Homonettigkeitswettbewerb“ nach Moskau fahren, mit den „zwei netten Lesben“ befreundet sind, beruflich Buddelschiffe bauen, penisförmige Eiszapfen züchten und irgendwann vom undankbaren Adoptivkind mit einem ihrer penisförmigen Eiszapfen hingemordet werden. Man erfährt, wie die Beatles zu ihrem Namen kamen: Damals hatte Paul McCartney im Münchner Theater eine Beate kennengelernt. Da er schon andere Beates kannte, notierte er auf einem Zettel: „Theater-Beate lesbisch.“ Nachts überfielen Motten die Hose des Popstars. Auf dem Zettel stand dann nur noch: „The Beatles.“ Solche Geschichten eben. Kleine, lustige Strichmännchen in interessanten Interieurs, die toll gezeichnet sind, irgendwo zwischen Fil, OL, Rattelschneck.

Was soll man sagen nach komplizierten Analyseversuchen? Max Goldt ist zu gut, als daß ihm etwas wirklich mißlingen könnte. Das weiß er auch, und das ist vielleicht das Problem: Die Texte sind zu sehr Texte. Deshalb liest man das Heft eher, als daß man es sich – wie es sich für Comics gehört – angucken würde. Natürlich macht das Spaß. Nur: man liest eben. Man spürt, daß Text und Bild an verschiedenen Orten entstanden sind. Oft wirkt es, als hätte Goldt die Ideen geliefert, die Katz dann bebilderte. So klaffen Text und Bilder auseinander und finden nur selten zueinander. Und das schadet beiden: Die bebilderten Texte driften ins Künstlerische, die Zeichnungen tendieren Richtung Illustration, und beides zusammen wirkt plötzlich ausgedacht und ambitioniert. Während die seltsam schönen Fotos der Titanic-Kolumnen, die Texte mit dem Alltag verbanden, ihren Realitätsgehalt sicherten, verabschiedet sich „Wenn Adoptierte den Tod ins Haus bringen“ von der Lebenswelt, um als – nun ja – Kunst unbeweglich zu werden.

Katz + Max Goldt: „Wenn Adoptierte den Tod ins Haus bringen“. jochen enterprises, Berlin 1997, 16,90DM