"Im menschlichen Maßstab bitte"

■ Der Spekulant als Plüschbär: Wie stellt man den Wandel Berlins dar? Ein Gespräch mit der US-Künstlerin Claudia Hart, die Goethes Faust als Kinderbuch über den Immobilienhandel remixt hat

taz: Als amerikanische Künstlerin haben Sie zwei Bilderbücher in Deutschland gemacht: Im ersten erklären Sie Kindern, wie der Machiavellismus funktioniert, im zweiten wird Goethes Faust zum Immobilienmakler. Was interessiert Sie an der Verbindung von Kunst und Macht?

Claudia Hart: In den viereinhalb Jahren, die ich in Berlin gelebt habe, fand ich es immer faszinierend, wie sehr sich das Leben hier beschleunigt hat. Vor dem Mauerfall lag die Stadt wie unter einer Glocke, danach ist alles explodiert, stärker noch als in New York. Berlin wurde als Stadt des 19. Jahrhunderts konzipiert und bewegt sich plötzlich aufs 21. Jahrhundert zu. Diesen Konflikt zwischen Klassizismus und einer neuen High- Tech-geprägten Romantik findet man höchstens noch in Manga- Comics oder Computerspielen so zugespitzt wieder.

Also ist Ihr Faustie – im Gegensatz zu Goethes Entwurf – bloß eine Zeitgeistfigur?

Es kommt auf die Interpretation an: Der erste Teil des Faust steht für ein geschlossen humanistisches Weltbild, während im zweiten Teil die neue Zeit, die Moderne, anbricht. Goethe selbst war bereits von Fouriers utopischen Städtemodellen angetan. Etwas Ähnliches passiert nun in Berlin: Während man sich in Amerika erst allmählich auf neue Technologien eingestellt hat, ist man hier einfach nur komplett begeistert. Freunde aus dem Osten sind nach dem Mauerfall sofort losgerannt, um sich gewaltige Computeranlagen zu kaufen, Künstler und Kunstvereine arbeiten hier mehr an Internetprojekten als anderswo. Ich habe versucht, diese Euphorie in eine Story zu übersetzen, und dazu gehört eben auch der Immobilienhandel.

Goethes Faust spielt auf dem Theater, die Bühne gibt den Rahmen vor. Berlins Wandel zur urbanistischen Metropole ist dagegen ziemlich real.

Mir geht es um die Absurdität des ganzen Unternehmens. Wenn im englischen jemanden als „fausty“ charakterisiert wird, dann ist damit eher ein abstoßender Typ gemeint, der ohne Skrupel Sachen zerstört und neu aufbaut. Nur sieht er bei mir eben nicht wie ein Monster aus, sondern wie ein pinkfarbener knuddeliger Bär. Für mich liegt darin eine Parodie der Verhältnisse: Man versucht in Berlin eine Stadt der Zukunft zu bauen, aber im menschlichen Maßstab, bitte schön. Also verzichtet man auf Wolkenkratzer und baut statt dessen die Häuserblöcke ebenso unverhältnismäßig in die Breite. Das halte ich für absurd.

Warum benutzen Sie für diese Auseinandersetzung das Kindchenschema von Comics?

Humor, wie ich ihn mag, ergibt sich aus der Darstellung komplizierter Vorgänge, als wären sie so einfach, daß sie ein Kind begreifen könnte. Es ist wie bei einer Satire, wo man die Dinge im Scherz bloßstellt. Außerdem mache ich mich mit den Büchern auch ein bißchen zum Clown. Auf diese Weise lassen sich Probleme auf eine freundliche Art formulieren.

Das klingt ein bißchen nach Infantilisierung und Psychoanalyse, wie sie auch ein Künstler à la Mike Kelley durchspielt.

Na ja, so viel hat sich ja auch nicht geändert. Immer noch werden eine Menge Konflikte auf der niedrigsten Ebene ausgetragen: Was, du willst mir meine Mami wegnehmen? Ich bring dich um! Mike Kelley dreht die Werte um, high wird bei ihm zu low und umgekehrt. Da gibt es sicher eine Parallele: Je wütender ich mich fühle, desto süßer sehen die Bilder aus.

Das Faustie-Buch selbst ist eine solche Umkehrung: Goethes universelles Weltbild läßt sich auf 32 Comicseiten zusammenfassen.

Das hat auch mit dem Unterschied zwischen Europa und Amerika zu tun: Hier hängt man noch der Idee einer absoluten und unantastbaren Kunst nach, wie im 19. Jahrhundert. Ich finde das unerträglich, deshalb nehme ich Ikonen wie Goethes Faust und mache daraus eine banale Figur. Meine Arbeit ist insofern auch Kritik an der Selbstüberschätzung europäischer Kultur. In Amerika will ich das Buch als Massenartikel auf den Markt bringen. Diese Option wäre in Deutschland undenkbar, soviel Selbstironie kennt man hier gar nicht. Dabei gab es doch Künstler wie Wilhelm Busch. Interview: Harald Fricke

Claudia Hart: „Dr. Fausties Tips und Tricks“; bis 3.8., Do.–So. 15–19 Uhr, shift-Galerie, Friedrichstraße 122/123

Beide Bücher sind in der edition nautilus erschienen.