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Sozialamt verschleppt Zahlungen an Kinder

■ Drei „von Behinderung bedrohte“Kinder warten seit Februar auf Geld, damit sie im Kindergarten gefördert werden können. Sechzig weitere Fälle folgen / Sozialbehörde verweist auf leere Kassen

Marc, Mareike und Uli (Namen geändert) sind vier und fünf Jahre alt und gehen in eine Integrationsgruppe des Kindertagesheims (KTH) der Martin-Luther-Gemeinde in Findorff. Alle drei sind in ihrer Entwicklung zurückgeblieben. Es fällt ihnen schwer, auf andere Kinder zuzugehen. Sie können für ihr Alter schlecht sprechen und haben motorische Probleme. Im Jargon des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) sind sie zwar nicht behindert, aber „von Behinderung bedroht“.

Laut BSHG und Kinder- und Jugendhilfegesetz haben alle drei Anspruch auf eine spezielle Förderung in ihrem Kindergarten – sei es Sprachtherapie oder Krankengymnastik. Die Finanzierung derselben heißt „Einzelfallhilfe“.

Auf die warten sie aber seit Februar vergeblich. Damals ging beim Amt für Soziale Dienste Mitte/West der Antrag der Eltern ein, der bis heute unbeantwortet blieb - obwohl er binnen drei Monaten hätte beschieden werden müssen. Vorgestern tagte der Gemeindevorstand. Auf der Tagesordnung stand unter anderem die Frage, ob es angesichts der Nicht-Zahlung möglich ist, die Kinder weiter in dem Kindergarten zu behalten.

Zur Zeit finanziert die Gemeinde einen Pädagogen vor – in der Hoffnung, das Geld irgendwann zurückzubekommen. „Auf Dauer können wir uns das nicht leisten“, sagt der KTH-Leiter Axel Antons, auch wenn die Kinder natürlich nicht „hinausgeschmissen“worden seien. „Seit Monaten telefonieren wir hinter dem Geld her.“Gegen den zuständigen Abteilungsleiter wurde inzwischen auch eine Dienst-aufsichtsbeschwerde eingereicht. Ein Elternpaar hat die Zahlung der Einzelfallhilfe per einstweiliger Verfügung eingeklagt.

Daß die Anträge bisher nicht bearbeitet wurden, ist offenbar auf sture Bürokratie zurückzuführen. Die insgesamt 14 Millionen Mark für Einzelfallhilfe würden gleichmäßig auf die Beiratsbezirke und dort wiederum auf die Kindergärten verteilt, erklärt Holger Bruns-Kösters, Sprecher der Sozialsenatorin Tine Wischer (SPD).

In der Martin-Luther-Gemeinde hätten „rein rechnerisch drei Fälle zuviel“Einzelfallhilfe beantragt. Das sei bedauerlich, aber erkläre die Verzögerung. „Auch wenn der Staat zahlen muß, ist das Geld eigentlich nicht da.“Auch seien die zuständigen Mitarbeiter nicht „mit dem Verfahren einverstanden, mehr Kinder, als der Topf vorsieht, anzumelden“. Dazu ein Vater: „Sehr witzig. Die Kinder gibt es aber nun mal.“

Und drei Kinder sind noch gar nichts: Schon jetzt liegen der evangelischen Landeskirche sechzig seit Monaten unbearbeitete Anträge auf Einzelfallhilfe für das am 1. August beginnende kommende Kindergartenjahr vor.

„Wir stecken gewaltig in der Klemme“, sagt Wilhelm Haase-Bruns vom Landesvorstand. „Das Personal mußten wir in Urlaub schicken, ohne sagen zu können, wie es weitergeht.“Laut Bruns-Kösters werde in den kommenden Wochen ein Treffen verabredet, „bei dem ein Verfahren zur Lösung gefunden werden soll“.

Das tut auch dringend not: Nachdem der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz endlich durchgesetzt ist, wird auch die Zahl der Problemkinder in den Kindergärten zunehmen. Kindergartenleiter Antons beobachtet aber auch, daß immer mehr Kinder Probleme bekommen: „Die Vereinzelung nimmt zu, die Umgebung wird rauher. Das äußert sich oft in Sprach- oder Bewegungsdefiziten.“ jago

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