: Bayerns neuer Fan
Giovane Elber will 18 Bundesligatore für die Münchner schießen, Meister werden und mit Brasilien zur WM ■ Von Matti Lieske
Berlin (taz) – Ein einziges Mal war es fast wie bei Jürgen Klinsmann. Endlich hatte sich Giovane Elber von der aufmerksamen Viererkette des AC Mailand absetzen können. Hektisch winkte er mit dem Arm, doch Thomas Strunz sah ihn nicht und spielte lieber einen vorsichtigen Querpaß nach guter, alter Bayern-Art. Ungehalten winkte Elber ab und trabte grummelnd zurück zur Mittellinie. Verpaßt war die Chance, das Match endete 0:0, und Milan gewann schließlich nach Elfmeterschießen das Finale des Mini-Turniers im Berliner Olympiastadion. Im ersten der vier 45minütigen Spiele dieser Veranstaltung, an der außerdem Paris St. Germain und Hertha BSC teilnahmen, hatte die Sache besser geklappt. Drei Schritte brachten den Brasilianer außer Trittweite seines Bewachers Hendrik Herzog, im selben Augenblick kam der genaue 40m-Paß von Thomas Helmer, und Elber lupfte den Ball wunderbar zum 1:0-Siegtreffer der Münchner Bayern ins Netz.
Schon die wenigen Vorbereitungsspiele des Meisters zeigten, daß Elber wohl das Klinsmann- Schicksal als einsamer Rufer und armwedelnder Möchtegern-Torjäger weitgehend erspart bleiben wird. Fast an allen Treffern der Bayern war Elber beteiligt, die Mitspieler suchen ihn, vor allem weil sie wissen, daß man ihm den Ball auch dann geben kann, wenn er eng gedeckt ist. Dank seiner guten Technik ist der 25jährige meist in der Lage, den Ball zu behaupten und etwas Vernünftiges damit anzufangen. Außerdem scheinen die anderen den freundlichen Brasilianer – bislang – zu mögen, was es leichter macht, ihm das kostbare Leder anzuvertrauen. Daß das Toreschießen in München dennoch schwieriger sein wird als bei seinem alten Klub VfB Stuttgart, ist dem Neuzugang klar. 25 Elber- Tore hat ihm Gerd Müller für die Bundesligasaison 97/98 prophezeit, der Stürmer selbst wäre schon froh, wenn es 18 werden, ein Treffer mehr als in der letzten Spielzeit. „Wenn das nicht klappt, muß man sehen, was mit der Mannschaft los ist.“
Los ist auf jeden Fall, daß die Münchner keinen Mittelfeldspieler haben, der so geniale Pässe spielen kann wie Krassimir Balakow, und keinen Sturmpartner für Elber, der so genau und direkt die Bälle ablegt wie Fredi Bobic. Carsten Jancker versucht es, ist aber einfach nicht so gut, Ruggiero Rizzitelli stoppt den Ball und läuft erst mal ein bißchen, bevor er eine Anspielstation sucht. Außerdem läßt Coach Giovanni Trapattoni viel defensiver spielen, was Elber uneingeschränkt gut findet. „Es gibt mehr Ordnung, alle rücken zusammen vor, alle zurück“, stellt er fest, „beim VfB sind alle 15 Meter weiter nach vorn gerannt als hier, und deshalb haben wir viele Kontertore kassiert.“ Für einen Stürmer sei es bei defensiver Spielweise natürlich schwieriger, „aber ich schieße lieber kein Tor und werde Meister“.
Überhaupt zögert Elber keinen Moment, jede Loyalität zur einstigen schwäbischen Heimat über Bord zu werfen und ziemlich alles in München besser zu finden als zuvor in Stuttgart. „Das war auch gut“, sagt er, „aber hier ist es ganz anders.“ Viele hätten schlecht von den Bayern erzählt, „aber es ist gar nicht so“, schwärmt er in jedes bereitgestellte Mikrofon, und es klingt wie eine Beschwörungsformel. „Überall, wo wir hinkommen, werden wir von tausend Fans empfangen.“ Das findet er gut. „Hier muß man nichts machen, nur Fußball spielen.“ Findet er prächtig. „In Stuttgart mußten die jungen Spieler die Koffer tragen, hier nicht.“ Findet er toll. „In Stuttgart mußten wir beim Training viel laufen. Hier laufen wir immer mit Ball.“ Findet er prima. Die Stimmung im Team? Gut! Die Bezahlung? „Das ist so viel Geld.“ Zwar nicht soviel wie bei den Stars von Borussia Dortmund, aber auch das macht nichts. Die Korrektheit der von einer Boulevardzeitung veröffentlichten Gehaltsliste bezweifelt er ohnehin. „Weiß nicht, ob stimmt. Bei mir, glaube ich, nicht“, verrät er. Und grinst.
Bei soviel positiver Ansprache ist natürlich auch das Bayern-Management zufrieden mit dem neuen Musterschüler, dessen Vereinnahmung einige Mühen gekostet hat. „Ich habe noch nie einen Brasilianer so arbeiten sehen“, sagt, nicht ohne dezent rassistische Untertöne, Uli Hoeneß. Ein höheres Lob als „harte Arbeit“ ist im deutschen Fußball kaum zu vergeben. Das einzige Ungemach, welches den Münchnern droht, ist paradoxerweise, daß Elber zu gut spielt. Dann würde möglicherweise eintreten, was für den Stürmer „ein bißchen Grund“ für seinen Vereinswechsel war: die Berufung in den Kader der brasilianischen Nationalmannschaft, die er vor allem mit gelungenen Auftritten in der Champions League erreichen will. „Das wäre natürlich eine Katastrophe“, sagt Hoeneß, der seinen Torjäger dann für diverse Spiele der WM-Vorbereitung des Titelverteidigers abstellen müßte. „Das wäre ein Traum“, sagt Giovane Elber. Es gibt eben doch noch etwas Schöneres als Bayern München.
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